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35 - Sendador 02 - In den Kordilleren

35 - Sendador 02 - In den Kordilleren

Titel: 35 - Sendador 02 - In den Kordilleren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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vergiftet!“
    „Wetter!“ rief der Steuermann erschrocken.
    „Ja, Señor, vergiftet! Und wer mich stört, bekommt es in den Leib. Er soll sterben, augenblicklich, und zwar da, wo er gesündigt hat. Hinab mit ihm!“
    Dieser wahnsinnige Gomarra wollte den Sendador von der Platte hinab in die Tiefe stürzen! Wir setzten uns in Galopp, mußten aber leider der Krümmung des Felsenpfades folgen und kamen nicht schnell genug oben an.
    Auf dem Felsen herrschte ein ganz unbeschreibliches Getümmel. Alle schrien durcheinander. Als ich aus dem Weg hervorsprang, erblickte ich Gomarra, welcher den Sendador mit einem Arm umfaßt hielt und ihn nach der Kante des Felsens drängte, während er mit der anderen Hand, in welcher er das vergiftete Messer hielt, die anderen, die ihn hindern wollten, von sich abdrängte. Der Sendador brüllte vor Angst wie ein Stier. Er konnte sich kaum wehren, da ihm die Hände gefesselt waren und ich ihm den Oberarmknochen verletzt hatte.
    „Halt!“ rief ich, „halt! Gomarra, lassen Sie, sonst schieße ich Sie über den Haufen!“
    Er hatte meine Stimme sofort erkannt, drehte sich einen kurzen Augenblick mir zu und antwortete, noch ehe ich mit meinen Worten zu Ende war:
    „Der Deutsche! Aber ich tue doch, was ich will. Hinab mit dir, du Hund von einem Mörder!“
    Er umklammerte den Sendador mit beiden Armen und drängte ihn schnell der Kante zu, damit ich zu spät kommen möge – noch einen Schritt – noch einen halben – er stieß den Sendador vor die Brust; dieser verlor das Gleichgewicht, schlang aber im letzten Augenblick seine beiden Beine um diejenigen Gomarras – ein fürchterlicher Schrei aus dem Mund des einen, und beide stürzten aus der schwindelnden Höhe in die Tiefe hinab, gerade als ich nahe genug herangekommen war und die Hände nach Gomarra ausgestreckt hatte.
    Ich selbst stand nur zwei Ellen vom Abgrund entfernt. Nicht die Tiefe desselben, sondern die Szene, welche soeben vor meinen Augen versunken war, machte mich schwindelig. Ich griff mir mit den Händen nach dem Kopf und machte mit Anwendung aller Willenskraft eine Bewegung rückwärts. Der Schwindel wollte mich hinabziehen; diese Anstrengung hielt mich oben; sie war so bedeutend, daß ich vier oder fünf Schritte weit zurücktaumelte und dann beinahe wieder gefallen wäre.
    Niemand hatte sehr auf mich geachtet. Jeder war mit sich selbst oder mit dem ihm Nächststehenden beschäftigt. Keiner getraute es sich, über den scharfen Rand des Abgrundes hinabzublicken, und doch wollten alle die nun unten liegenden Körper sehen. Sie rannten hin und her, gebärdeten sich fast wahnwitzig, stießen alle möglichen Ausrufe des Schreckens und Entsetzens aus und rannten dann in den Hohlweg hinein, um hinab an den See zu gelangen, wo die Leichen der Abgestürzten liegen mußten.
    Nur die wenigen Weißen hatten sich leidlich gefaßt und ruhig gezeigt. Wie ein Fels im Meer stand der Steuermann. Er hatte sich nicht von der Stelle bewegt, seit ihm Gomarra mit dem Messer gedroht hatte. Viele rannten an ihn an, ohne ihn aber einen Schritt weit von der Stelle bringen zu können.
    „Die beiden Männer müssen einen schrecklichen Anblick bieten“, sagte ich und wollte vor an die Kante treten, um hinabzublicken; der Steuermann aber hielt mich am Arm zurück und bat:
    „Bleiben Sie, Herr, bleiben Sie, ich kann es nicht sehen.“
    „Sind Sie schwindelig?“
    „Niemals gewesen; hier aber kann ich es werden. Der stärkste Großmast ist mir noch zu niedrig; dieser Felsen aber ist entsetzlich. Ich sehe noch jetzt die beiden vor mir, wie sie über die Kante gingen, und da ward es mir grau und schwarz vor den Augen.“
    „Ich will aber sehen, wo sie liegen.“
    „Der Fels kann losbröckeln!“
    „O nein; der ist zu hart und ohne jeden Riß. Er hat bereits Jahrtausenden widerstanden und wird noch vielen Jahrhunderten trotzen.“
    Ich legte mich lang auf den Boden nieder und schob mich nach vorne. Der Felsen war über dreihundert Fuß hoch und stürzte sich senkrecht in den See hinab. Am Rand desselben lag ein dunkler Klumpen. Eben sah ich mehrere Tobas als die ersten aus dem Hohlweg hervorkommen und sich diesem Gegenstand nähern. Es war der ganz und gar zerschmetterte Leichnam Gomarras, wie ich später erfuhr.
    Die Leute sahen nur diese eine Leiche, aber die andere nicht. Sie suchten, sahen empor und deuteten nun mit erhobenen Händen und laut rufend zum Felsen herauf. Ich schob mich noch weiter vor, sodaß nicht nur der Kopf, sondern

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