35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
habe alles durchsucht, aber vergeblich. Ja, Fußspuren gibt es genug, aber welche sind die seinigen! Ich könnte mich vor Ärger erstechen oder vergiften, daß ich so albern gewesen bin, ihn entkommen zu lassen! Aber Sie“, wandte er sich an mich, „verstehen die Spuren zu lesen. Sie müssen suchen; dann finden wir die richtige gewiß. Ich begreife nicht, daß Sie hier sitzen bleiben und nicht schon längst sich aufgemacht haben, uns zu helfen!“
„Ich hatte anderes zu tun und habe überhaupt die Absicht gar nicht, heute und hier nach dem Flüchtling zu forschen“, antwortete ich.
Der Bruder, welcher glaubte, Gomarra werde ihn seines Standes wegen besser behandeln als mich, ergriff nun das Wort und erklärte ihm in kurzen Worten das Geschehene und die Gründe, die uns zu diesem Verhalten veranlaßt hatten. Gomarra stand wie eine Bildsäule, ohne zu sprechen. Einige Male bewegten sich seine Lippen, aber es schien ihm vor Aufregung unmöglich zu sein, ein Wort hervorzubringen. Die Farbe kam und ging auf seinem Gesicht, und das Blut drang ihm nach dem Kopf, so daß die Äderchen seiner Augen sich dunkelrot färbten. Aber als der Bruder geendet hatte, brach der leidenschaftliche Mann los:
„Alle tausend Teufel! Das hat man hinter meinem Rücken getan! Ohne mich um die Erlaubnis zu fragen! Bruder, ich ermorde Sie! Glauben Sie etwa, weil Sie eben ein Bruder sind, werde ich Ihnen das so hingehen lassen? Sie haben den Sendador entkommen lassen. Sein Blut entgeht mir. Ich fordere dafür das Ihrige!“
Er raffte seine Flinte wieder auf und spannte den Hahn. Ich saß mit ausgestreckten Beinen da. Jetzt zog ich das eine an den Leib, um mich zum blitzschnellen Aufspringen bereit zu machen, denn diesem jähzornigen Menschen war es mit seiner Drohung vollständiger Ernst.
„Beherrschen Sie sich!“ rief ihm der Bruder zu. „Wie können Sie von Blutvergießen sprechen! Sie befinden sich nicht in einem Matadero-Schlachthof. Sie haben Menschen vor sich, aber keine Rinder!“
„Das ist mir gleich, Mensch oder Rind! Ich will Blut für Blut und frage, wer der Urheber dieses listigen und heimtückischen Anschlages gewesen ist! Gewiß, der Deutsche da, der alle Halunken lieber umarmen als bestrafen möchte!“
Der Bruder wollte antworten, gewiß, um die Schuld auf sich zu nehmen; ich aber kam ihm zuvor und sagte:
„Ja, ich war es; es war mein Wille, und die anderen Señores haben denselben befolgt.“
Da wurde sein Gesicht dunkelrot; er tat einen katzenartigen Sprung auf mich zu, blieb dann stehen, richtete den Lauf des Gewehres auf mich und schrie:
„Du also, du warst es, Hund von einem Fremden! Du hast dem Mörder meines Bruders die Freiheit gegeben! Fahre hin!“
Er drückte ab. Aber mein Auge hatte an seinem Zeigefinger gehangen. Sobald dieser den Drücker suchte und die letzten Worte ertönten, schnellte ich mich auf und zur Seite. Der Schuß krachte; die Kugel ging an mir vorüber und hinter der Stelle, auf welcher ich gesessen hatte, in die Erde; desto sicherer aber traf meine Faust ihr Ziel. Ich schlug den Kerl auf den Kopf, daß er wie ein Sack zusammenbrach und regungslos liegen blieb.
Einen solchen Mordanfall hatte keiner erwartet; sie sprangen alle auf und fragten, ob ich verwundet sei, denn wir fanden erst später die Stelle, an welcher die Kugel in den Boden gedrungen war. Man beruhigte sich erst dann einigermaßen, als man vernahm, daß ich nicht getroffen worden sei. Ich nahm Gomarra das Messer, damit er kein Unheil mit demselben anrichten könne; die Flinte wurde natürlich auch entfernt, und dann warteten wir, daß er zu sich komme.
Es verging eine ziemlich lange Zeit, ehe er sich wieder zu bewegen begann. Er griff mit der Hand nach der Gegend des Kopfes, welche ich getroffen hatte; dann öffnete er die Augen und blickte im Kreis umher. Als sein Auge auf mich fiel, kam das volle Bewußtsein schnell über ihn. Er sprang auf und rief:
„Du lebst noch, Elender! Habe ich dich nicht getroffen? So werde ich – – –“ Er wollte sich bücken, um Pena, welcher ihm am nächsten saß, das Gewehr zu entreißen und auf mich anzulegen; ich aber nahm ihn schneller noch, als er war, beim Hals und beim Gürtel, hob ihn empor und warf ihn zu Boden, daß man glauben konnte, er habe alle Glieder gebrochen. Dennoch raffte er sich auf, griff nach dem Gürtel, und da er sein Messer nicht dort fand, warf er sich mit ausgestreckten Händen mir entgegen. Ich hob das rechte Bein auf und stieß es vorwärts; der
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