35 - Sturm über Vallia
waren das plötzliche Geschrei weiter vorn und das kehlige Fauchen und Knurren gleichwohl ein klares Signal.
In das atemberaubende Gewirr von Gerüchen und Aromen mischte sich schockartig der Geruch nach Blut – wie ein Rotweinfleck, der sich auf einem gelben Tischtuch ausbreitet.
»Ich wußte es!« rief Lon mit verkniffenem Gesicht und umfaßte seinen spitzen Stab. »Ich hab's dir gleich gesagt!«
Fandy fuhr herum und starrte nicht etwa nach vorn, wo ausgebrochene Raubtiere über gefesselte Gefangene herfielen, sondern auf den Käfig, der ihrer Obhut anvertraut war. Hier war alles noch fest und sicher. Die Verriegelungen, die Nieten, die die Käfigstäbe hielten – alles war an Ort und Stelle.
Der Churmod, der im Käfig hockte, reflektierte mit seinem silberblauen, ungemusterten Fell das Licht, als läge eine Art Patina darauf. Der stumpfe Kopf des Tiers war angehoben. Der Schwanz des Weibchens klopfte einmal auf den Boden des Käfigs. Behäbig, angefüllt von der Arroganz eines Churmods, erhob sie sich auf die vier Hinterbeine, so daß der wild-abweisend aussehende Kopf unverändert auf ihren Vorderbeinen ruhte. Zwei scharlachrote Augen musterten Fandy mit einer boshaften Feindseligkeit, wie sie für einen Churmod in seiner gereizten, sadistischen, gnadenlosen Art typisch war.
Menschen liefen in alle Richtungen auseinander. Die Prozession zerbrach in einzelne Grüppchen. Außer sich vor Entsetzen, stürzten Männer und Frauen in Türöffnungen, stiegen durch Fenster in umliegende Häuser, versuchten Säulen zu erklimmen, um sich auf Balkonen in Sicherheit zu bringen, von denen noch immer helle Tücher und Blumen und Federbüschel den Zug grüßten, der jetzt kein freudiges Ereignis mehr darstellte.
Das Churmod-Weibchen stellte sich auf seine acht Beine. Acht Klauenpaare wurden ausgefahren wie Rasiermesser. Aufgerichtet paßte sich der Churmod der ruckelnden Bewegung des Wagens an. In dem Augenblick, bevor das Gefährt zum Stillstand kam, senkten sich die Vorderräder ruckhaft in eine Vertiefung. Der Käfig begann ächzend zu kippen und verweilte in schiefer Position.
Das ungeheure Fauchen des Churmods erinnerte an das Dampfablassen eines Vulkans.
Das Weibchen warf sich gegen das vordere Gitter und ließ es zerbersten. Aus der gleichen Bewegung heraus sprang es auf den Weg – ein tödliches silberblaues Phantom des Schreckens.
Fandy der Schwanz huschte in die entgegengesetzte Richtung, ihre breite Schwanzspitze verschwand zuckend hinter einigen Musikern, die sich ihrer Instrumente zu entledigen suchten.
Mit typischen geschmeidig-gelassen wirkenden Sätzen huschte der Churmod auf das Durcheinander weiter vorn zu, auf das Geschrei und den leckeren Blutgeruch.
Lon die Knie fluchte heftig vor sich hin – vor allem auf Kov Vodun Alloran – und nahm sich nicht die Zeit zum Überlegen. Hätte er sein Köpfchen benutzt, wäre er Fandy dem Schwanz gefolgt.
Er begann auf die tödlichen Geräusche zuzulaufen.
Warum er so handelte, wußte er nicht; natürlich litt er Todesängste, natürlich war er starr vor Schrecken und schimpfte sich einen opazbesessenen Dummkopf – doch immerhin war er für die Sicherheit des Churmods verantwortlich. Churmods sind erstaunlich selten und kostbar. Größer als Leems, heimtückischer als Chavonths, gelten sie in der Arena als unvergleichliche Beute. Und den Gerüchten zufolge hatte Vodun Alloran, der neue Kov, die Absicht, auf dieser frisch eroberten Insel Rahartdrin das Schauspiel des Jikhorkdun einzuführen, mitsamt der Arena, der Übungsringe, der Baracken und der Wetteinsätze und sonstigen blutigen Pracht. *
Lon hetzte sich auf krummen Beinen ab, bis ihm die Zunge aus dem Mund zu hängen begann.
Es dauerte nicht lange, da erreichte er das scheußliche Durcheinander, das die wilden Tiere angerichtet hatten. Überall zerfleischte Menschengestalten. Einige Tiere stillten ihren Hunger, während andere die Orgie des Tötens fortsetzten.
Von Lons Churmod war nichts mehr zu sehen.
Abrupt kam er zur Vernunft, und sein Gesicht kribbelte, als hätte ihn jemand mit Eisstücken beworfen.
Beim Süßen Opaz!
Wo hatte er nur seine Gedanken gehabt?
Sofort huschte er über die mit Hindernissen übersäte Straße und war froh, daß ihm kein Leem, keine Strigicaw und kein sonstiges, mit scharfen Klauen bewehrtes Ungeheuer begegnete. Hastig verschwand er im schwarzen Rechteck einer offenen Tür.
Auf der Schwelle stolperte er über einen Körper. Er gewann sein Gleichgewicht wieder
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