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36 - Das Vermächtnis des Inka

36 - Das Vermächtnis des Inka

Titel: 36 - Das Vermächtnis des Inka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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anrichten wird er sicherlich. So ein Orkan türmt die Wogen bergeshoch auf, reißt große Lücken in die dichtesten Wälder und wirft die festesten Häuser ein.“
    „Und da wollen wir uns vor ihm in eine Ansiedelung, also in Häuser, flüchten? Daß sich Gott erbarm! Er wird sie uns über dem Kopf zusammenstürzen, und wir werden unter den Trümmern unseren unvermeidlichen Untergang, lateinisch Exitium genannt, finden.“
    „Eigentlich sollte man das freilich denken; aber ich verlasse mich auf den Häuptling, welcher nicht nur die Gewalt des Orkans, sondern auch die Verhältnisse unseres Zufluchtsortes kennt.“
    „Wat können uns die Verhältnisse nützen, wenn sie vom Sturm umjeworfen werden“, meinte Fritze. „Ick habe schon manchen Pampero miterlebt; aber so ein Hurrikan soll noch wat janz anderes sind. Ick jebe in diesem Augenblick vor mein Leben keinen roten Pfifferling. Sehen Sie Ihnen doch 'mal dat Himmelsjewölbe an! Ist dat noch Himmel zu nennen? Nein, wie die reine Hölle sieht es aus. Allen Respekt vor ein schönes Firmament; aber wenn es sich mit Kupferrot und Schwefeljelb überzieht, so kann's mich bange werden. Ick habe auch kein Vertrauen zu die Ansiedelung. Ansiedelung von die Niedermetzlung! Wat haben wir dort zu erwarten? Wat Besseres wohl nicht!“
    Es war kein Wunder, daß selbst Fritze ein Grauen verspürte, der komische Kauz, welcher sich sonst nicht so leicht aus der Fassung bringen ließ. Der Himmel sah jetzt wirklich höllisch aus. Das Dreieck wuchs immer weiter nach Norden und wurde an seiner Grundfläche breiter und breiter. Dieselbe nahm, als man anderthalb Stunden geritten war, schon die Hälfte des Horizontes ein.
    Bei dem jetzt herrschenden Dämmerschein war zu sehen, daß der Ritt über eine mit kurzem Gras bewachsene Fläche ging, welche sich hie und da zu niedrigen Hügeln erhob. Diese wurden nach und nach häufiger und höher. Meist waren sie von sanft abgerundeter Gestalt, doch kam man auch an einigen vorüber, welche schroffe Felsenbildung zeigten.
    „Das beruhigt mich“, sagte der Vater Jaguar. „Den besten Schutz können wir an der Nordseite eines festen Felsens finden. Und da ein jeder, der sich hier niederläßt, mit den Verhältnissen des Landes, also auch mit den verheerenden Stürmen zu rechnen hat, so steht zu erwarten, daß die Ansiedelung, welcher wir entgegeneilen, an einer so geschützten Stelle angelegt worden ist.“
    Es sollte sich bald zeigen, daß er ganz richtig vermutet hatte. Man gelangte zwischen Hügeln hindurch in ein breites Tal, welches auf der südlichen Seite von einer hohen Felsenmauer und auf der nördlichen von sanften, bewaldeten Höhen eingefaßt wurde. Auf der Sohle desselben wuchs niedriges Gebüsch und reiches Gras, und in der Nähe der Felsen standen sechs einzelne Gebäude, welche die frühere Niederlassung gebildet hatten.
    Solche Ansiedlungen hat es im Gran Chaco früher viele gegeben. Man stößt noch heutigentags auf die Trümmer derselben. Die Weißen kamen in das Land der Roten, setzten sich in demselben fest und benahmen sich als rechtmäßige Eigentümer, ohne an die Zahlung eines Kaufpreises oder an sonst eine Entschädigung zu denken. Sie suchten sich natürlich die besten, schönsten und fruchtbarsten Stellen aus und schossen jeden Roten, der es wagen wollte, ihnen ihr angemaßtes Recht streitig zu machen, einfach nieder. Da aber der Nachschub ausblieb, so waren solche einzelnen Ansiedler doch zu schwach, sich längere Zeit oder gar für immer gegen die zahlreicheren Indianer zu halten, und so zogen sie sich entweder noch rechtzeitig zurück oder wurden, wenn sie hartnäckig auf der geraubten Scholle sitzen blieben, ausgerottet. Das angebaute Land verwilderte wieder. Der Wind wehte die Pflanzensamen in die Gebäude; die Keime entwickelten sich zu Sträuchern und Bäumen, welche die Mauern und Dächer sprengten. Schlinggewächse krallten sich an den Ziegeln und Balken fest und überzogen sie mit einer dicken, feuchten Blätterdecke, unter welcher sie vermoderten und nach und nach in Staub zerfielen.
    In dieser Weise ruinenhaft lag die ‚Ansiedlung der Niedermetzlung‘ nun freilich nicht da. Sie war von neuerem Datum und außergewöhnlich gut erhalten. Die Wände der Gebäude bestanden nicht aus dem hier gewöhnlichen Material, sondern aus festen Holzstämmen, welche tief in die Erde gerammt worden waren. Die Dächer waren aus dicken Schilflagen zusammengesetzt, welche von Bastseilen von bedeutender Stärke getragen wurden.

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