36 - Das Vermächtnis des Inka
Diese Seile hatten ebenso wie das Schilf der Witterung widerstanden. Infolge ihrer Elastizität gaben sie jedem Windstoß nach, so daß selbst der wildeste Orkan, welchem kein Dach widerstanden hätte, ihnen nichts anzuhaben vermocht hatte. Die Plankenwände hatten dieselbe Widerstandsfähigkeit gezeigt. Sie waren zwar auch reich mit Schlinggewächsen und anderen Pflanzen überwuchert, von ihnen aber nicht zerstört, ja kaum angegriffen worden, vielmehr hatten diese eine lebendige, dicke Schutzmauer gebildet, durch welche kein Wind und Regen zu dringen vermochte. Fenster gab es nicht, und die Eingänge waren nicht mit Türen versehen. Vor und zwischen diesen Gebäuden standen Sträucher, aus denen sich uralte Bäume erhoben. Diese hatten manchen Sturm erlebt, wie die am Boden liegenden starken Äste bewiesen, welche abgerissen worden und dann verdorrt waren.
Als die Reiter um die Felsen bogen und die sechs Gebäude liegen sahen, rief der Häuptling der Cambas, ihr Führer, aus: „Wir sind an Ort und Stelle, Señores. Laßt die Pferde laufen, und dann schnell unter die Dächer; der Hurrikan kann uns dort nichts anhaben!“
„Nein, nicht so!“ widersprach der Vater Jaguar. „Wer sich vor Schaden bewahren will, der höre auf mich! Haltet hier beim ersten Haus an! Ich kehre gleich zurück.“
Er galoppierte an den Gebäuden hin und dann wieder her, um mit dem Auge ihre Länge und Tiefe zu messen und daraus zu berechnen, wie viele Personen oder Pferde ein jedes aufnehmen könne. Dann fuhr er fort: „Die Pferde dürfen wir nicht freilassen: sie würden im Orkan davonlaufen. Sie müssen mit in die Häuser. Diese aber müssen erst gereinigt werden.“
„Wovon denn?“ fragte Leutnant Verano.
„Das können Sie sich nicht denken? Sie sollen es sogleich sehen.“
Er beorderte hinter jedes Gebäude einige seiner Leute und gab ihnen den Auftrag, dort zu schreien, zu lärmen und mehrere Schüsse abzugeben. Als dieser Befehl ausgeführt wurde, sah man, was der Vater Jaguar mit dieser Reinigung gemeint hatte. Der Dämmerschein war hell genug, um allerlei Getier erkennen zu lassen, welches durch das Lärmen und Schießen aufgeschreckt worden war und nun aus den Türöffnungen hervorgeschossen kam; sogar ein Puma war dabei.
„Nun sind höchstens noch Schlangen dann, vor denen wir uns zu hüten haben“, bemerkte der umsichtige Anführer. „Treibt zunächst die Pferde in die vier nächsten Gebäude! In den zwei anderen finden dann wir Unterkunft. Nachher das dürre Holz gesammelt, damit wir Feuer machen können; aber schnell, denn das Unwetter scheint losbrechen zu wollen!“
Starke Windstöße begannen durch das Tal zu pfeifen; sie brachten große, schwere, jetzt noch vereinzelte Wassertropfen mit sich. Die Männer waren fieberhaft tätig; in kaum zehn Minuten waren die Befehle Hammers ausgeführt. Die Pferde, welche sogar noch abgesattelt worden waren, standen in den Räumen, und diejenigen Männer, welche bei ihnen waren, um sie zu beaufsichtigen, brannten Feuer im Innern in der Nähe der Türen an. Feuer brannten auch in den zwei Gebäuden, welche zur Aufnahme der übrigen Personen bestimmt waren. Dort hinein war auch alles Gepäck geschafft worden, welches die Schar bei sich geführt hatte. Aber es war die höchste Zeit gewesen, daß man damit zustande gekommen war, denn jetzt brach das Wetter, als ob es nur darauf gewartet hätte, mit einer Gewalt los, welche aller Beschreibung spottete.
Der vorhin gelbhelle Himmel hatte sich mit einem Schlag schwarz gefärbt; ein Ächzen, Stöhnen, Dröhnen und Heulen wie von tausend Teufeln ging durch das Tal; der Orkan war da; die Gebäude zitterten unter seiner Gewalt; sie schienen sich zu biegen, wurden aber durch ihre Elastizität gehalten, und dann tat es plötzlich einen Krach, als ob ein Berg eingestürzt sei. Das war der Regen, welcher mit einemmal, und zwar nicht in Tropfen, sondern in geschlossener Masse wie ein See herniederstürzte.
Dieser Regen ergoß sich mit dem Getöse eines großen Wasserfalls, wurde aber dennoch von der Stärke der Donnerschläge übertönt. Blitze zuckten durch die tiefdunkle Nacht oder vielmehr durch den Regensee, und auch das Wort Blitze ist nicht der richtige Ausdruck, denn es waren Feuerflamnmen, welche aus der Erde aufzuckten, und Feuerklumpen, welche aus den Wolken niederfielen. So ging es Schlag auf Schlag, Krach auf Krach, Feuerball auf Feuerball, eine ganze Stunde lang und auch noch eine zweite. Es war ganz unmöglich, sich zu
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