36 - Das Vermächtnis des Inka
den Platz zu untersuchen. Der Vater Jaguar wollte ihm Gelegenheit bieten, seinen Scharfsinn zu zeigen, und fragte ihn darum: „Nun, Hauka, wie viele Feinde werden wir vor uns haben?“
„Vielleicht fünfzig Reiter und fünfzehnmal mehr Männer, welche keine Pferde haben“, antwortete der Jüngling mit großer Bestimmtheit.
„Deine Schätzung hat das Richtige getroffen, nicht zuviel und nicht zuwenig. Um einige Männer oder Pferde kann man sich irren; es kommt nicht darauf an.“
„Was tun wir nun?“ fragte Anciano. „Reiten wir noch weiter hinter ihnen her?“
„Nein, denn erstens gibt es keinen Grund dazu, und zweitens würde es eine Unvorsichtigkeit von uns sein. Wir wissen jetzt, woran wir sind; wir haben unseren Zweck erreicht und kehren zu unseren Cambas zurück.“
„Auf welchem Weg?“
„Auf dem wir hierhergekommen sind. Wir halten uns wieder nach Norden und reiten, sobald wir unsere Fährte erreichen, auf derselben zurück.“
Diese Absicht wurde ausgeführt, so daß die drei dann also nördlich von der Linie, und zwar parallel mit derselben, ritten, auf welcher die Aripones marschierten. Stunden vergingen und wieder Stunden. Der Weg hatte fast zwei Tage in Anspruch genommen, denn die drei waren gestern früh ausgeritten, und jetzt war der Mittag längst vorüber.
„Wir kommen noch sehr zu rechter Zeit“, sagte Anciano nach einem längeren Schweigen. „Die Feinde erreichen heute das Tal des ausgetrockneten Sees auf keinen Fall.“
„Nein“, stimmte Hammer bei. „Ich vermute, daß sie am Sumpf der Knochen Nachtlager machen werden, welcher jetzt zwei Stunden südlich von uns liegt.“
„Darüber wird der Señor Doktor keine Freude haben.“
„Warum?“
„Weil sie ihm wahrscheinlich die Knochen nehmen werden, welche er sich später holen will.“
„Die werden sie ihm gern liegenlassen.“
„Nein, denn sie werden Feuer brennen, und da sind Knochen besser als Schilf, welches schnell verlodert.“
„Es fragt sich, ob sie sie finden. Sie werden wegen der Stechfliegen, von denen sie am Wasser geplagt würden, nicht in der Nähe desselben lagern. Aber halt! Was ist denn das? Sehe ich recht?“
Er hielt sein Pferd an und sah überrascht zur Erde nieder. Die drei befanden sich jetzt an der Stelle, an welcher Morgenstern und sein Diener zu der Einsicht gekommen waren, daß sie falsch geritten seien.
„Sonderbar!“ antwortete Anciano. „Da sind Reiter hinter uns hergekommen und nach Süden abgebogen!“
„Vom Tal des ausgetrockneten Sees her“, ergänzte der Vater Jaguar.
„Wer mag das sein?“
„Es sind jedenfalls Freunde von uns, da es dort noch keine Aripones geben kann. Sie sind nach dem Sumpf der Knochen hinüber. Was hat das zu bedeuten? Ich habe doch ganz genaue Weisungen gegeben, wie man sich verhalten soll. Welch eine Unvorsichtigkeit von diesen Cambas! Wenn sie da drüben von den Aripones bemerkt werden, so ändern diese sehr wahrscheinlich ihren Plan, und dann muß der meinige erfolglos sein.“
Haukaropora war der Spur eine kleine Strecke gefolgt. Indem er zurückkehrte, hörte er diese Worte und sagte: „Es sind keine Cambas, welche diese Unvorsichtigkeiten begangen haben.“
„Wie kommst du zu dieser Behauptung? Sollen es Weiße gewesen sein? Meine Kameraden werden es sich niemals einfallen lassen, einen solchen Fehler zu begehen.“
„Señor, es sind außer ihnen noch andere Weiße da. Ich sollte nicht sprechen, weil ich ein Knabe bin, aber wenn mich nicht alles trügt, so ist der kleine, gelehrte Mann mit seinem Diener hier geritten.“
„Doktor Morgenstern? Das wären nur zwei Personen; ich sehe aber die Spuren von fünf Pferden im Gras.“
„Sie haben die Fährte noch nicht genau betrachtet. Wenn Sie das tun, so werden Sie bemerken, daß zwei Reiter drei ledige Pferde neben sich geführt haben.“
Als der Vater Jaguar hierauf aus dem Sattel stieg, überzeugte er sich sehr leicht, daß der junge Inka sich nicht geirrt hatte.
„Zwei Reiter mit drei ledigen Pferden, also wohl mit Packpferden!“ sagte er. „Da möchte ich allerdings auch behaupten, daß es nur diese beiden kleinen Kerle sein können, deren Unerfahrenheit und Ungeschick uns immerfort zu schaffen macht. Es ist dem Doktor wirklich zuzutrauen, daß er nicht an die Gefahr, sondern nur an diese alten Knochen denkt!“
„Ist diese unsere Vermutung richtig, so befindet er sich in großer Gefahr“, sagte Anciano. „Es steht sehr zu befürchten, daß die Aripones ihn überraschen
Weitere Kostenlose Bücher