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36 - Das Vermächtnis des Inka

36 - Das Vermächtnis des Inka

Titel: 36 - Das Vermächtnis des Inka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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und her und duckte sich dann nieder, die rollenden Augen empor nach den ihm gegenüberliegenden Sitzplätzen richtend.
    „Estad atento – aufgepaßt!“ rief der Weißbärtige. „Jetzt kommt es so, wie ich vermutet habe. Das Tier wird über die Schutzwand gehen.“
    „Por amor de Dios – um Gottes willen, das wird er doch nicht!“ schrie der Privatgelehrte, als er diese Worte hörte. „Die Bestie schaut gerade direkt zu mir herauf, als ob sie mich verschlingen wolle.“
    Er fuhr von seinem Sitz empor und machte eine Bewegung, als ob er fliehen wolle, was aber bei der Enge der Plätze ganz unmöglich war. Diese hastige Bewegung des kleinen, noch dazu rot gekleideten Männchens zog die Aufmerksamkeit des Jaguars erst recht auf sich. Das Tier hob den Hinterkörper halb empor, stieß ein kurzes, heiseres Brüllen aus und flog dann in einem weiten Satz gegen die hölzerne Scheidewand. Es gelang ihm, den oberen Rand derselben mit den Vordertatzen zu erreichen und den Körper nachzuziehen.
    In diesem Augenblick verstummte alles Geschrei; es trat eine so tiefe Stille ein, daß man das Kratzen der Klauen des Raubtieres an den Balken deutlich hörte. Jedermann sah, daß der Jaguar es auf das rote Männchen abgesehen hatte. Alle, die in der Nähe desselben saßen, waren hoch gefährdet. Welche Verwüstung mußten die Pranken und Zähne des wilden, vor Hunger knirschenden Tieres unter diesen so dicht sitzenden Personen anrichten! Man war überzeugt, daß der Jaguar sofort den zweiten Sprung tun werde; er tat ihn nicht; er blieb noch auf der Scheidewand hängen, denn sein Auge wurde durch einen anderen Gegenstand angezogen, und dieser Gegenstand war der graubärtige Señor, welcher sich gestern Hammer genannt hatte.
    Dieser war nämlich, als das Tier zum Sprung angesetzt hatte, von seinem Sitz aufgefahren und hatte dem Gelehrten den Poncho von den Schultern und das Messer aus dem Gürtel gerissen. Das letztere in der rechten Hand haltend, wickelte er sich den ersteren um den linken Arm und sprang auf die Vorderlehne seines Sitzes. Das war so blitzschnell geschehen, daß er diesen Fußhalt in demselben Augenblick erreichte, in welchem der Jaguar auf die Bretterwand gelangte.
    „Punto en boca“, gebot er mit seiner kräftigen, weithin schallenden Stimme, „ninguno menease – still, niemand bewege sich!“
    Dann sprang er auf die Scheidewand des nächsten und zweitnächsten Vordersitzes, welche leer zu sein schienen, aber es nicht waren; die Inhaber derselben waren vor Entsetzen unter dieselben gekrochen. Noch ein Schritt, und Hammer stand auf dem vordersten Sitz, dem Jaguar so nahe gegenüber, daß er ihn mit der Hand erlangen konnte. Das Tier hatte die Bewegungen des riesenhaften Deutschen mit glühenden Augen verfolgt, ohne dieselben durch den erwarteten zweiten Sprung zu verhindern; es sah sich angegriffen, ohne aber den Gegenangriff zu wagen; es hielt sich mit drei Tatzen fest, riß den Rachen auf und hob die eine Vorderpranke zum abwehrenden Schlag empor. So hielten Mensch und Tier, die Augen ineinander gebohrt, einige Sekunden einander gegenüber. Da nahm Hammer, um die rechte Hand freizubekommen, das Messer zwischen die Zähne und stieß dem Jaguar die Faust mit solcher Kraft gegen den Hinterkörper, daß dieser den Halt verlor; seine hinteren Pranken glitten von der Bretterwand; er suchte sich mit den vorderen festzuhalten und fauchte den Feind wütend an, erhielt aber von diesem einen solchen Hieb auf die Nase, daß er auch vorn abglitt und in die Arena zurückstürzte. Diejenigen, welche sich in Gefahr befunden hatten, waren gerettet. Aber damit begnügte sich der Deutsche nicht. Er sprang auf die Wand und, zum Schreck aller Zuschauer, in die Arena hinab. Ein vielstimmiger Schrei erscholl rundum, denn der kühne Mann kam gerade vor den Jaguar zu stehen, welcher sich laut brüllend zum Sprung niederduckte.
    Nun geschah etwas, was niemand für möglich gehalten hätte. Hammer nahm das Messer aus dem Mund, setzte den linken Fuß vor und hielt dem Tier den linken, durch den Poncho geschützten Arm entgegen. War es diese sichere Haltung, oder war es die Macht des weit geöffneten grauen Auges, dessen nicht zuckenden Blick der Jaguar auf sich gerichtet sah – er unterließ nicht nur den Sprung, sondern setzte die Pranken langsam hinter sich, um sich in schleichender Haltung zurückzuziehen. So allmählich, wie er wich, folgte ihm der Deutsche Schritt um Schritt, ohne ihn auch nur für einen Moment aus dem Auge

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