36 - Das Vermächtnis des Inka
nicht. Wir könnten sie doch sofort festnehmen!“
„Nein, sondern sie würden uns gerade im Gegenteil entkommen. Sie würden sich zu Fuß in den Wald retten, und dieser ist so dicht, daß wir die Verfolgung sogleich aufgeben müßten. Ich begreife überhaupt nicht, warum sie nicht schon längst die Pferde preisgegeben und sich in den Wald gerettet haben. Solange sie im Sattel bleiben, bin ich sicher, sie einzuholen. Wir müssen also versuchen, sie vom Wald abzubringen und in den offenen Campo hinauszutreiben.“
Er hielt sein Pferd mehr nach links, bis er dicht am Waldesrand dahinjagte, und Anciano folgte diesem Beispiel. Da ereignete sich vor ihnen etwas, was nur wenige Augenblicke in Anspruch nahm und sie dennoch mit Grauen erfüllte.
Die drei Verfolgten ritten nämlich nicht neben, sondern in verschiedenen Abständen hintereinander. Der Kapitän Pellejo war voran, denn er hatte das beste Pferd; dann kam Antonio Perillo, und endlich folgte der Gambusino, dessen Pferd am ermüdetsten war, weil es einen so schweren Reiter zu tragen hatte. Bei jedem Mal, wo er sich umsah, bemerkte er, daß die Verfolger ihm näher gekommen waren. Wenn das nur noch fünf Minuten so fortging, so hatten sie ihn eingeholt, denn er sah nicht nur, sondern er fühlte auch, daß ihn sein Pferd nur noch eine kurze Strecke zu tragen vermochte. Sollte er sich verloren geben? Nein! Lieber ein Menschenleben opfern! Er zog also sein Messer und stieß die Klinge desselben dem Pferd bis an das Heft in den Leib. Das verwundete Tier nahm seine letzte Kraft zusammen und jagte mit verdoppelter Geschwindigkeit weiter. Der Gambusino jagte infolgedessen an Antonio Perillo vorüber und holte dann den Kapitän ein.
„Señor, Euer Pferd!“ herrschte er diesen an. „Springt herab; ich muß es haben!“
„Was fällt Ihnen ein!“ antwortete der Offizier. „Soll ich mich etwa fangen lassen?“
„Ich habe keine Zeit, mit dir zu verhandeln. Fahre hin, du Schwachkopf!“
Er hatte das Gewehr zu diesem Zweck schon in der Hand gehalten und schoß Pellejo, ehe dieser sich zu wehren vermochte, eine Kugel in die Seite. Der Getroffene wankte, griff aufschreiend mit beiden Händen in die Luft, wollte sich vergeblich halten und stürzte vom Pferd. Der Gambusino hatte dasselbe im Nu beim Zügel, hielt an, schwang sich hinüber und jagte dann weiter.
„Haben Sie es gesehen?“ rief Anciano dem Vater Jaguar zu. „Er hat seinen Gefährten erschossen!“
„Um zu dessen Pferd zu kommen. Es soll ihm aber nichts nützen, daß er einen Mord mehr auf sein Gewissen geladen hat.“
Sie erreichten jetzt die Stelle, an welcher Pellejo lag. Er war nicht tot und rief ihnen zu: „Ich kann Sie aufklären. Erbarmen Sie sich meiner!“
Sie verstanden im Vorüberjagen diese Worte, konnten sie aber nicht beachten, da ihnen an Pellejo weniger lag als an den beiden anderen. Der Gambusino hatte jetzt das bessere Pferd; da er aber viel schwerer war als der bisherige Reiter, so blieb er nicht im Vorsprung, sondern die beiden Pferde jagten Kopf an Kopf nebeneinander hin. Jetzt sah er sich wieder um und erschrak.
„Cascaras!“ schimpfte er grimmig. „Die Schufte sind uns auf den Fersen und wollen uns vom Wald abbringen. Ich habe den Kapitän vergeblich getötet, denn wir müssen in den Wald, sonst sind wir verloren. Steck alles, was du in den Satteltaschen hast, zu dir und dann herab von den Pferden und ins Gesträuch hinein!“
Perillo sagte kein Wort, denn er wußte, daß der andere recht hatte. Sie leerten die Satteltaschen, lenkten die Pferde schräg dem Wald zu, sprangen, als sie diesen erreicht hatten, ab und jagten in das Dickicht hinein. Perillo wollte rasch tiefer eindringen; der Gambusino aber hielt ihn am Arm zurück und gebot: „Bleib! Hier sind wir so sicher wie in Abrahams Schoß. Meinst du, daß dieser Vater Jaguar sich heranwagt und sich unseren Kugeln aussetzt? Dazu ist er viel zu schlau. Nur ein unerfahrener Knabe könnte das tun.“
Sie standen also hinter dem vorderen Gebüsch, hielten ihre Gewehre schußbereit und lauschten angestrengt zurück, ob sie die Nahenden sehen oder hören würden. Sie bekamen aber nichts zu sehen, und es blieb draußen so still und ruhig, als ob kein Mensch da vorhanden sei.
„Siehst du, daß ich recht habe“, meinte der Gambusino. „Sie hüten sich sehr, heranzukommen.“
„Dann scheinen wir gerettet zu sein. Ich begreife überhaupt nicht, warum wir uns so einschüchtern ließen; wir waren drei Personen und sie nur
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