36 - Das Vermächtnis des Inka
unbemerkt zu nähern, aber es ist Nacht, und diese Aripones sind nicht so scharfsinnig wie die Sioux oder Apachen und Comanchen Nordamerikas. Sodann wißt ja gerade ihr beide, wo diese Menschen lagern. Also wollen wir euch mitnehmen. Macht euch fertig!“
„Sollen wir unsere Flinten oder die Lanzen und Pfeile mitnehmen?“
„Nur die Messer. Schießen werden wir nicht, und zur Abwehr werden, falls uns einer anfällt, die Messer genügen.“
Die beiden Indianer legten ihre Waffen und auch die Silberlöwentaschen ab, um sich leichter und freier bewegen zu können.
„Und euer langes Haar?“ meinte der Vater Jaguar. „Wir werden zwischen und unter den Sträuchern, Dornen und Schlingpflanzen hinkriechen müssen. Da bleibt ihr hängen.“
„Wir wissen schon, was wir tun müssen, um nicht hängenzubleiben.“
Er nahm sein langes, graues Haar halb rechts und halb links nach vorn und band es unter dem Kinn in einen Knoten zusammen. Der Inka tat mit dem seinigen ebenso, und dann brachen sie auf.
Anciano ging voran. An der Laurelia angekommen, wendete er sich nach links, wo der Einschnitt den Wald teilte. Indem sie leise durch das Dunkel schritten, flüsterte der Inka dem Vater Jaguar zu: „Señor, Sie denken, daß es Ihnen gelingen wird, diese Männer zu befreien?“
„Ja, wenn nicht jetzt durch List, dann später mit Gewalt.“
„Dann müssen wir uns auch noch etwas anderes holen.“
„Was?“
„Pferde.“
„Dachte es, daß du das bringen würdest, du kleiner, listiger Held. Wir brauchen vier Pferde.“
„Ja. Für Ihre beiden Landsleute, für Anciano und für mich.“
„Ich hatte es mir natürlich auch schon vorgenommen, denn wenn wir nicht genug Pferde haben, sind wir in allem, was wir tun, gehindert.“
„So holen Sie mit Geronimo die Menschen, und ich nehme mit Anciano die Tiere!“
„Nicht so schnell! Jetzt läßt sich eine solche Einteilung noch nicht treffen. Wir müssen uns nach den Verhältnissen richten, welche wir vorfinden.“
Die beiden Weißen verstanden es, mit vollständig unhörbaren Schritten zu gehen, und was die zwei Indianer betraf, so hätte man, wenn das nicht ein sprachlicher Fehler gewesen wäre, sagen mögen, daß ihre Schritte noch unhörbarer seien.
Als sie eine Weile hintereinander hergegangen waren, tauchte Lichtschein vor ihnen auf. Sie mußten nun noch vorsichtiger als bisher sein und hielten sich so dicht am Rand des Einschnittes, daß sie im Schatten der Bäume unsichtbar blieben.
Es wurde bereits erwähnt, daß dieser Einschnitt eine nur geringe Breite besaß; aber da, woher der Lichtschein kam, buchtete er sich nach rechts aus und bildete eine Art kleiner Waldwiese, welche von sehr dicht stehenden Bäumen und Sträuchern umgeben war. Am Eingang zu dieser Wiese und im Hintergrund rechts weideten die Pferde. Vorn links lagerten die Menschen an einigen Feuern, denn es war kühl geworden. Der Unterschied zwischen der Tages- und Nachttemperatur beträgt in jenen Gegenden oft bis fünfzehn, ja sogar zuweilen achtzehn Grad nach Reaumur.
Die vier Anschleicher hatten sich auf die Erde gelegt und krochen auf Händen und Füßen näher, jetzt nicht mehr Anciano, sondern der Vater Jaguar voran. Ihre von Sonne, Wind und Wetter dunkel gegerbte Kleidung stach nicht im mindesten von ihrer Umgebung ab; nur das lange, graue Haar des Alten hätte, wenn man in Nordamerika und auf einer Streife gegen die dortigen Indianer oder weißen Jäger gewesen wäre, zum Verräter werden können; aber die Leute, mit denen man es hier zu tun hatte, besaßen nicht so scharfe Augen.
Jetzt hatte man die Einbuchtung erreicht. Das nächst grasende Pferd stand kaum sechs Schritt von dem Vater Jaguar entfernt. Es mußte die Fremden sehen oder wenigstens riechen; es wedelte mit dem Schwanz und warf die Ohren hin und her, gab aber kein hörbares Zeichen der Unruhe, des Verdachtes oder gar der Warnung von sich.
„Dumme Geschöpfe!“ flüsterte der Deutsche Geronimo zu. „Ein Comanchenpferd würde so laut schnauben und so auffällig zurückweichen, daß wir sicher entdeckt wären. Dennoch aber müßten diese Kerle es sehen, daß es den Schwanz und die Ohren in einer Weise bewegt, die auf etwas ungewöhnliches schließen läßt. Wir werden leichtes Spiel haben.“
„Denke es auch“, antwortete der andere. „Siehst du, wie es steht?“
„Freilich! Die Feuer brennen ja so hell, daß man an jedem einen Ochsen braten könnte.“
Es war allerdings so hell, daß die kleine Lichtung wie am Tage
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