3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)
dass der Weg das für einen bereithält , was man wirklich braucht. Er ist quasi mein erster Schutzengel. Wegen meiner Mega-Blasen bin ich völlig verzweifelt und voller Zweifel, am nächsten Tag überhaupt weiterlaufen zu können. Harald, der gelernter Krankenpfleger ist, bietet mir an, die Blasen aufzustechen. Ich wusste nicht, dass man das so machen kann, lasse ihn aber einfach mal ran. Mit Nadel und Faden bearbeitet er fachmännisch meine Blasen, sticht sie auf, damit die Flüssigkeit ablaufen kann, und lässt die Fäden als Drainage in den Blasen, damit sie sich nicht wieder mit Flüssigkeit füllen können. Nach der göttlichen Dusche, in die ich fast auf allen vieren hineinkrieche, weil ich vor Schmerzen kaum mehr laufen kann, gehen wir in den gegenüberliegenden Gasthof essen.
Eigentlich wollten wir uns in dem örtlichen Supermarkt mit Verpflegung eindecken, aber wir wussten nicht, dass Mittwoch nachmittags die Geschäfte geschlossen haben. Ich sollte in Zukunft meinen Wanderführer besser lesen. Im Gasthof bestellen wir Pasta, die es für Gäste der Familie Rupp zum Pilger-Sonderpreis gibt. Toll!
Fazit des Tages: Eine Badewanne ohne Wasser erfüllt nicht ihren Zweck. Auch wenn mein Rucksack schwer ist, wäre es schwerer, eine Waschmaschine bis nach Santiago de Compostela zu tragen.
Feststellung des Tages: “Ich muss ja über die Alpen!” (Harald, völlig erstaunt, beim Lesen seines Wanderführers)
Donnerstag, 15. Mai, 3. Tag:
Tobel (511m) - Hörnli (1.133 m), 22 km
Nach einer erholsamen Nacht in wunderbaren Betten und einem wunderbaren Frühstück lösen wir unser Versprechen ein und helfen Fritz beim Ausbessern eines Zaunes auf einer seiner Weiden. Diese Cowboy-Arbeit ist ein richtiger Knochenjob, aber nach ein paar Stunden ist schon alles erledigt und Fritz fährt uns mit seinem Pick-up und unseren Rucksäcken, die wir direkt mitgenommen hatten, wieder auf den Jakobsweg.
Wir lassen Tobel hinter uns und ich nehme nicht nur eine schöne Erinnerung an sehr gastfreundliche Menschen, sondern auch drei Verletzungen mit auf den Weg , weil ich mich zu eng mit dem Zaun angefreundet hatte. Eine davon, ein tiefer Kratzer am rechten Bein, wird mich später für immer als kleine Narbe an diesen Tag erinnern.
Trotzdem sind wir nach getaner Arbeit hochmotiviert , unsere nächste Etappe unter die Sohlen und das Hörnli in Angriff zu nehmen. Das Wetter bleibt (noch) - stabil und da Harald mir am Morgen noch mal die größere und schmerzhaftere Blase am rechten Fuß aufgestochen hat, geht’s auch - (noch) - mit dem Laufen. Wir reden über Gott und die Welt, verstehen uns super und haben jede Menge Spaß.
In Sirnach kommen wir absichtlich vom Weg ab, um in den Genuss einer kostenlosen Pilgersuppe zu kommen, die es laut meine s Wanderführers - diesmal habe ich ihn nicht nur überflogen - , in einem Gasthaus geben soll. Gut gestärkt bewältigen wir an diesem Tag dann noch über 600 Höhenmeter und erreichen bei kaltem Regen, in völliger Dunkelheit und völlig erschöpft den 1.133 Meter hoch gelegenen Gipfel des Hörnli. Ich kann mich nicht erinnern, wann und ob ich jemals so erschöpft war, habe aber dafür zum ersten Mal Feuersalamander in freier Wildbahn gesehen!
Als wir voller Vorfreude auf ein gemütliches Berggasthaus und ein warmes Abend essen oben ankommen, ist es zu unserem Entsetzen stockduster und wie ausgestorben. Wir sind uns sicher, dass Ruth, der wir unterwegs wieder begegnet waren, heute ebenfalls bis hierher laufen wollte, also gehe ich laut rufend um das große Gasthaus. Wir sind sicher, dass sie hier ist, aber nichts regt sich und alles bleibt geisterhaft ruhig.
Jetzt könnte ja wieder mein mit über drei Kilogramm viel zu schweres Dreimannzelt zum Einsatz kommen . Aber völlig erschöpft, im Dunkeln und im eisigen strömenden Regen hat aufs Aufbauen keiner mehr Lust. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als die Nacht draußen und im Schlafsack zu verbringen. Am Eingang des Gasthauses finden wir eine immerhin von drei Seiten windgeschützte und überdachte Stelle. Kuschelig wird’s aber bei nur knapp über 0° Grad und dem Wetter trotzdem nicht.
Außerdem hatten wir, weil wir so sicher waren, dass der Gasthof geöffnet hat, nicht mehr an Proviant gedacht und auch unsere Wasserflaschen nicht mehr aufgefüllt. Wenigstens finden sich noch ein paar Brote, etwas Käse, ein paar Riegel Schokolade und gesalzene Erdnüsse
Weitere Kostenlose Bücher