3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)
Tages: Bist du mal so richtig nass, macht das Pilgern noch mehr Spaß!
Montag, 19. Mai, 7. Tag:
“Ruhetag” bei den Schwestern
Wie mit Schwester Cäcilia vereinbart, ist nach einem ausgiebigen Frühstück und dem Abschied von Ruth und Harald heute also nicht Aufbruch, sondern Arbeit angesagt. Und wer hätte gedacht, dass ich jemals mit einer Heidi in der Schweiz auf dem Dachboden eines Klosters körperlich aktiv sein würde?
Heidi ist die Haushälterin des Klosters und meine Aufgabe besteht darin, den Dachboden zu saugen. Nachdem ich trotz meiner 1,85 m die Saug-Aktion unter den Dachschrägen überstanden habe, ohne mir ernsthafte Kopfverletzungen zuzuziehen, bekomme ich von Köchin Rosmarie ein tolles Mittagessen mit 4 Gängen aufgetischt, das keine Wünsche offenlässt: Suppe, Salat, Hauptgang und Nachtisch! Als einziger Mann im Haus bin ich quasi Hahn im Korb und werde mit dem besten Essen seit Überlingen ziemlich verwöhnt.
Mit Schwester Cäcilia vereinbare ich , noch eine Nacht zu bleiben, und so komme ich nach dem Mittagessen in den Genuss von noch mehr Luxus und beziehe ein Einzelzimmer in dem ich erst mal Mittagschlaf mache. Währenddessen werden meine von Schlamm und Regen der vergangenen Tage völlig verdreckten Klamotten von Heidi gewaschen und getrocknet. Und so fühle ich mich während meiner Siesta nicht nur wegen des Kreuzes an der Wand von guten Mächten wunderbar geborgen. Das Kloster Ingenbohl ist übrigens eine Dependance des Klosters in Brunnen und quasi dessen Altersheim für die betagten Schwestern.
Mit eine r der ältesten von ihnen, der unglaublich liebenswerten Schwester Herta, fange ich am Nachmittag damit an, drei Blumenbeete von Unkraut zu befreien. Schwester Herta ist mit ihren 86 Jahren nicht mehr die fitteste, aber - so sind die Regeln in dem Kloster - die Nonnen müssen, solange sie leben, für Kost und Logis arbeiten.
Trotzdem kann ich’s nicht mit ansehen , wie sie sich an dieser nicht gerade einfachen Arbeit abmüht und ihren Rücken krumm macht, also sage ich ihr nach dem ersten Beet, dass ich den Rest auch ganz gut ohne sie schaffe. Schwester Herta überschüttet mich mit Dank und kann es kaum fassen, für diesen Tag von der Arbeit befreit zu sein.
Nach der Arbeit und einem wunderbaren Abendessen fahre ich mit dem Bus in das nahe gelegene Schwyz und kaufe mir dort eine neue Kamera. Diesmal gehe ich auf Nummer sicher: Sie ist wasserdicht und vor allem stoßfest, damit ich auch mal draufliegen kann, wenn mir danach ist.
A ls ich zurückkomme aus Schwyz, finde ich an meiner Zimmertür ein Kuvert. Darin finde ich eine Karte von Schwester Cäcilia, in der sie sich herzlich für meinen Einsatz bedankt und 35,-- Franken! Habe schon fast ein schlechtes Gewissen das Geld anzunehmen, weil ich nicht weiß wofür. Den Rest des Abends verbringe ich alleine und es ist ein komisches Gefühl, wieder ohne Gesellschaft zu sein.
Fazit des Tages: Liebe, die man anderen gibt, kehrt ins eigene Herz zurück.
Dienstag, 20. Mai, 8. Tag :
Brunnen - Buochs, 17 km
Heute lass ich es mal wieder langsam und gemütlich angehen. Erstmal ausgiebig frühstücken und Tagebuch schreiben. Dann packen und los geht’s. Aber erst noch Foto-Session mit den Schwestern Cäcilia und Herta, Rosmarie und Heidi. Schwester Cäcilias Bitte, mich in ihrem Gästebuch zu verewigen, schlage ich natürlich nicht aus, und weil’s mittlerweile wieder Mittag ist, werde ich noch mal zu einer Suppe eingeladen.
Weil auch dieser „Sister Act“ mal ein Ende haben muss, verabschiede ich mich dann doch so kurz nach Mittag schweren Herzens von den barmherzigen Schwestern vom heiligen Kreuz. Am bezaubernden Vierwaldstätter See nehme ich eine Fähre nach Treib, wo die Via Jakobi fortgesetzt wird. Als wollte mich die Schweiz knallhart daran erinnern, dass ich nicht in Ostfriesland bin, wird’s dann wieder brutal: Es geht in kurzer Distanz 500 Höhenmeter sehr steil bergauf.
Trotzdem wird , je höher man kommt, nicht nur der Weg, sondern auch die Landschaft und das Panorama auf den Vierwaldstätter See wunderschön und ich muss an einen Spruch von Ingmar Bergman denken: „Älter werden ist wie auf einen Berg steigen. Je höher man kommt, desto mehr Kräfte sind verbraucht, aber umso weiter sieht man.“
Der Weg durch den Wald ist dann aber leider nicht nur spektakulär schön , sondern auch abenteuerlich bis
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