37 - Satan und Ischariot I
nicht lange mehr auf sich warten lassen werde.
Wie gedacht, so geschehen. Nach kurzer Zeit gelangten wir an eine Waldecke. Der Bach wendete sich nach rechts; der Rand des Waldes schien geradeaus zu laufen; links zog sich an demselben ein Strich offenen Wiesenlandes hin. ‚Hier ist's!‘ dachte ich. ‚Er weist uns am Wald hin, steigt ab, bindet sein Pferd an und eilt uns unter den Bäumen voran, bis er die betreffende Stelle erreicht.‘ Der Mormone hielt, als ob ich allwissend gewesen wäre, sein Pferd an, deutete vor sich hin und sagte: „Das Gebiet der Hazienda reicht bis an diesen Wald, und ich habe also meine Aufgabe, Sie über die Grenze zu bringen, erfüllt. Eigentlich hätte ich nichts hinzuzufügen; da ich mich Ihrer aber einmal angenommen habe, will ich Ihnen sagen, wo Sie einen vortrefflichen Schlafplatz finden werden. Gehen Sie am Rand des Gehölzes weiter, so treffen Sie nach einer Viertelstunde wieder auf den Bach, welcher von hier aus einen Bogen macht. Dort gibt es klares Wasser zum Trinken, hohes, weiches Gras zum Lagern und eine Felswand, welche Ihnen Schutz gegen die kühle Nachtluft bietet. Ob Sie diesem Rat folgen wollen oder nicht, ist mir gleich.“
„Ich danke und werde folgen, Señor“, antwortete ich.
„So rate ich Ihnen, langsam zu gehen. Das Frühjahrswasser hat hier natürliche Gräben gerissen, in welche Sie leicht stürzen können. Ich kehre jetzt um. Sie haben Ihr Glück von sich gewiesen, und ich bin überzeugt, daß es Sie auf immer verlassen hat.“
„Ich bedarf des Glückes nicht. Sie werden in kurzer Zeit erfahren, daß ich mich lieber auf mich selbst verlasse.“
„Es liegt mir nichts daran, je wieder von Ihnen zu hören. Laufen Sie zum Teufel!“
Er kehrte um und tat, als ob er zurückreiten wolle. Wir gingen weiter, wobei ich meinen Begleitern leise sagte:
„Der Mann wird jetzt den Wald aufsuchen, um uns voranzukommen. Er will mich erschießen. Ich werde ihm aber vorauseilen und ihm beweisen, daß mit Old Shatterhand nicht zu scherzen ist. Meine Brüder mögen nicht am Waldsaum hingehen, sondern sich ein wenig mehr links halten, damit er nicht erkennen kann, daß ich fehle. Auch mögen sie meine Gewehre halten, weil mir dieselben hinderlich sein würden. Wenn ich nicht bald rufe, mögen sie bis an die Stelle gehen, welche der Mann beschrieben hat, und dort auf mich warten.“
Die drei waren natürlich über meine so unerwartete Mitteilung überrascht, nahmen aber meine Gewehre hin, ohne ein Wort zu sagen. Das Bündel mit meinem Anzug trug das Pferd bereits; ich hatte also die Hände frei und ging mit schnellen Schritten weiter, während sie sich mehr nach links wandten, um dort ihren Weg langsam fortzusetzen. Doch hielten sie sich, ohne daß ich sie darauf aufmerksam gemacht hatte, klugerweise immer so, daß man ihre Schritte vom Wald aus hören konnte.
Ich sage, daß ich schnell ging, denn es fiel mir gar nicht ein, die Warnung des Mormonen zu beachten. Seine Mitteilung bezüglich der Gräben enthielt eine Unwahrheit, welche er ausgesprochen hatte, um uns zum Langsamgehen zu bewegen, damit er uns trotz der Hindernisse, welche die Bäume ihm boten, vorankommen könne. Es fiel mir keinen Augenblick ein, daß ich mich irren könne, sondern ich war vollständig überzeugt, daß er mir auflauern werde.
Mich immer nahe am Wald haltend, schritt ich wohl zehn Minuten lang vorwärts, scharf nach einer Stelle ausschauend, welche sich für das Unternehmen des Mormonen eignete. Die Sterne waren sichtbar geworden; meine Blicke reichten mehr als dreißig Schritte weit. Da trat aus dem bisher geraden Saume des Waldes eine scharfe Ecke hervor, welche sich jenseits ebenso scharf wieder rückwärts bog. Sie wurde aus dichtbelaubten Bäumen gebildet, unter denen niedrige Büsche standen. Hatte ich mich in Beziehung auf die Absicht des Mormonen nicht geirrt, so war dies unbedingt die Stelle, an welcher er sie ausführen wollte. Hier konnte er sich gut verbergen, und wir mußten so nahe an der Ecke vorüber, daß mich seine Kugel gar nicht verfehlen konnte. Indem ich das Unterholz mit den Augen und auch mit den Händen untersuchte, wollte ich mir darüber klarwerden, an welcher Stelle sich Melton wohl verstecken werde. Das war gar nicht schwer; er mußte gute Deckung für sich, freien Blick nach außen und einen sicheren Anschlag auf mich haben. Als ich einen solchen Ort gefunden hatte, kroch ich nahe bei demselben unter ein Gezweig, welches mich unsichtbar machte und dabei so
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