37 - Satan und Ischariot I
diesem Fall hoffte ich keine großen Schwierigkeiten überwinden zu müssen, um dem Herkules begegnen zu können. An einen anderen wollte ich mich nicht gern wenden. Er war nun einmal so ziemlich in meine Ansichten eingeweiht, und wenn ich ihm auch nicht alles mitteilen konnte, so war er doch derjenige, dem ich die größere Zuverlässigkeit zutrauen durfte.
Leider fand ich das Tor zu. Außerhalb der Mauern befanden sich nur die Hirten, an welche ich mich nicht wenden durfte; ich mußte also hinein. Da gab es nur einen Weg, und zwar den, welchen ich schon einmal benutzt hatte, nämlich das Wasser des Baches, welcher ja unter der nördlichen und südlichen Mauer der Hazienda hindurchfloß. Schaden bringen konnte mir das Wasser nicht; ich war bereits naß, und die Nässe tat mir nach der Hitze des Tages sogar wohl.
Ich ging also nach derjenigen Stelle der südlichen Mauer, an welcher der Bach aus dem Hof der Hazienda ins Freie trat, und stieg hinein. Die Passage war ganz bequem; ich brauchte nicht einmal unterzutauchen, sondern nur mich ein wenig zu bücken, um unter der Mauer hindurchzukommen.
Jenseits derselben war es beinahe taghell. Es brannten mehrere Feuer, an welchen meine Landsleute beschäftigt waren, sich ihr Abendessen zu bereiten. An Stricken, welche über Stangen gezogen waren, hingen Fleischstücke, welche da trocknen sollten. Man hatte, wie ich sah, mehrere Rinder und Schweine geschlachtet, um Proviant zu machen.
Die große Helle war für meinen Zweck nicht sehr günstig, und doch war es mir nur durch sie möglich, den Herkules zu entdecken. Er hatte sich, wie gewöhnlich und so auch jetzt, von den anderen abgesondert und spazierte in sehr unbequemer Entfernung von mir rauchend auf und ab. Es war ganz unmöglich, mich unbemerkt zu ihm zu schleichen; ich mußte warten und mich in Geduld fassen.
Die Auswanderer waren lustig und guter Dinge. Als sie gegessen hatten, begannen sie zu singen, und zwar ganz selbstverständlich zuallererst dasjenige Lied, welches am unvermeidlichsten ist: Wenn der Deutsche lustig ist, so singt er ganz gewiß: ‚Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin.‘ Der Jude Jakob Silberberg sang auch mit, wie ich sah. Seine Tochter, die schöne Judith, bemerkte ich nicht.
Der Goliath ließ sich auch durch den Gesang nicht anziehen; er entfernte sich vielmehr noch weiter von den Singenden und kam mir dadurch näher. Er schien erregt zu sein, wie ich seinen hastigen, unregelmäßigen Schritten und Wendungen anmerkte. Ob er sich wieder einmal über Judith geärgert hatte? Der Haziendero war nicht zu sehen, Melton und Weller senior auch nicht. Der aufgedunsene Majordomus aber ging zuweilen ab und zu.
Nach langer, langer Zeit schienen die Gedanken des Herkules eine Richtung zu nehmen, welche mir, der ich noch immer bis unter den Armen im Wasser stand, günstig war. Er kam langsam auf den Bach zu und blieb am Wasser stehen, ungefähr fünfzehn Schritt von mir entfernt. Jetzt galt es, mich ihm bemerklich zu machen, ohne daß er mich in seiner Überraschung verriet. Ich rief halblaut seinen Namen. Er stutzte und horchte, da er keinen Menschen sah, verwundert auf. Ich nannte den Namen wieder, den meinigen dazu und fügte hinzu:
„Erschrecken Sie nicht! Ich stehe hier im Wasser und laure auf Sie, um mit Ihnen zu reden. Kommen Sie her!“
Er folgte dieser Aufforderung, aber nur zögernd. Es erschien ihm doch sonderbar, aus den Wellen angesprochen zu werden. Ich richtete mich höher auf, so daß der Schein der Feuer auf mein Gesicht fiel; da erkannte er mich und sagte, natürlich mit leiser Stimme:
„Sie hier, wirklich Sie? Ist's möglich! Sind Sie ein Nix geworden, oder gehen Sie nur im trüben fischen?“
„Keines von beiden. Setzen Sie sich her ins Gras! Wenn Sie stehen bleiben, fällt es auf.“
Er setzte sich und meinte:
„Sie haben allerdings alle Ursache, sehr heimlich zu tun. Wenn Sie sich sehen ließen, könnte es Ihnen Meltons wegen schlimm ergehen.“
„Wieso?“
„Sie haben ihn ja hinterrücks überfallen und ausgeraubt! Seine Waffen, sein Geld haben Sie ihm genommen. Er hat nur mit Mühe entkommen können und ist unterwegs in der Dunkelheit mit dem Pferd gestürzt, wobei er sich beide Hände verstaucht hat.“
„Ah – – – so!“
„Ja – so! Und dazu kommt, daß Sie auch Pferde gestohlen haben.“
„Das ist freilich wahr; ich gebe es zu, obgleich nicht eigentlich ich es gewesen bin. Ich habe den Pferdediebstahl
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