37 - Satan und Ischariot I
Weller junior sich wieder im Land befand.
Nun aber mußte auch ich ein wenig schlafen und begab mich nach unserem Versteck, um meinem jungen Kameraden für seine Wache die nötigen Anweisungen zu geben. Er entfernte sich, und ich legte mich nieder. Nach wenigen Augenblicken war ich in tiefen Schlaf gesunken, was nach den gehabten Anstrengungen gar kein Wunder war. Um bequem zu liegen, hatte ich es mir leichtgemacht und den Inhalt aller meiner Taschen und auch des Gürtels fortgetan.
Ein Schrei, ein lang anhaltender, schriller Schrei weckte mich. Ich sprang auf und horchte. Der Schrei erklang zum zweiten Male; ich kannte ihn; es war der Triumpfruf eines indianischen Kriegers. Gleich darauf erscholl ein dritter, ganz anderer Schrei; es war der Hilferuf eines Angegriffenen; er kam genau aus der Gegend, in welcher ich meinen Mimbrenjo wußte. Er befand sich jedenfalls in Gefahr. Da war jede Sekunde, nein, jede halbe, jede Viertelsekunde kostbar; ich nahm mir also gar nicht einmal die Zeit, mich nach einer meiner Waffen niederzubücken, sondern rannte fort, der betreffenden Stelle zu. Dort angekommen, sah ich ihn nicht; aber weiter unten gab es ein Ringen im Gras und im Gebüsch. Der unvorsichtige Knabe war nicht auf seinem Platz geblieben; er hatte sich näher an das Indianerlager gewagt und war gesehen, beschlichen und überfallen worden. Ich mußte ihn frei haben, denn wenn sie ihn behielten, so war sein Tod gewiß; darum sprang ich die Steilung der Talwand hinab, kam aber mit dem einen Sporen an eine Wurzel zu hängen, verlor das Gleichgewicht und stürzte nieder. Noch ehe ich mich aufraffen konnte, rauschte es rundum in den Büschen, und fünf, sechs und noch mehr Rote warfen sich auf mich. Ich wollte auf, brachte aber meinen Fuß nicht von der Wurzel los; das war mein Verderben. Hätte ich den niederträchtigen Sporn freibekommen, so wäre noch Hoffnung gewesen, mich durchzuschlagen; so aber war dies unmöglich. Ich wehrte mich freilich, soviel ich konnte, natürlich nur mit der Faust, die jetzt meine einzige Waffe war, aber die Übermacht war zu groß; ich mußt unterliegen und wurde gebunden.
Mehr Rote kamen herbei. Einer von ihnen betrachtete mich und sagte mit einem entzückten Grinsen seines Gesichtes „Tave-schala!“ Das bedeutet in der Yuma- und Tonkasprache Old Shatterhand.
„Tave-schala, Tave-schala!“ erklang es weiter, von Mund zu Mund, von Mann zu Mann, bis alle meinen Namen schrien, so daß die Echos von den Talwänden widerhallten. Der Jubel kannte keine Grenzen. Man schrie und brüllte, man schwang alle möglichen Waffen über meinem Kopf; man tanzte um mich, obgleich die Büsche dabei im Wege waren. Ich ließ es ruhig geschehen, da ich es nicht ändern konnte, und hielt mich vollständig bewegungslos. Alle, alle waren gekommen; einer schob den anderen zur Seite, um mich zu sehen; nur zwei kamen nicht: der Häuptling und der junge Weller. Der erstere war zu stolz, nun, da ich mich in seiner Gewalt befand, nach mir zu laufen, und Weller mußte sich zu derselben Zurückhaltung bequemen, obgleich er wohl lieber auch mitgetanzt und gejubelt hätte. Darauf gab man mir die Füße so weit frei, daß ich kleine Schritte machen konnte, und schaffte mich nach dem Lager, wo ich den ‚Großen Mund‘ mit Weller vor seinem Zelt sitzen sah. Ich hatte seinen Sohn erschossen; der ausgesuchteste Martertod war mir gewiß; doch das kümmerte mich jetzt nicht; ich dachte nur an meinen jungen Mimbrenjo, den ich hatte befreien wollen, und freute mich darüber, daß er nicht zu sehen war. Wahrscheinlich war er also doch entkommen. Ein Glück war es dabei, daß ich vorhin alles, selbst die Weste, in welcher sich die Uhr befand, abgelegt hatte. In den Hosentaschen gab es nur Kleinigkeiten, welche ich leicht verschmerzen konnte, und den Beutel mit meinem ganzen Vermögen. Da dasselbe aber nur aus wenigen Pesos oder Dollar bestand, so konnte auch dieser Verlust mich nicht aus der Fassung bringen. Und was die leibliche Gefahr betrifft, in welcher ich mich befand, so war dieselbe allerdings so groß, wie sie überhaupt nur sein konnte, doch stand sie mir, wie ich sehr genau wußte, nicht augenblicklich bevor. Die Angewohnheit der Indianer, gefangene Feinde zu Tode zu martern, ist für die letzteren allerdings eine höchst fatale, aber da die Roten diese Prozedur nur selten an Ort und Stelle vornehmen, sondern die Gefangenen mit heimschleppen, um den zurückgebliebenen Ihrigen ein Schauspiel zu bereiten, so ist dadurch
Weitere Kostenlose Bücher