37 - Satan und Ischariot I
breitgegipfelte Chopo-Erle, in deren Nähe es kein Buschwerk gab. Es war ein offener Platz, dessen Mitte sie beschattete. Ich blieb hinter dem letzten Strauch halten, da ich seine Schritte nicht mehr hörte; er mußte unter der Erle stehengeblieben sein. Da ich eine ganze Weile angestrengt lauschte, ohne seine Schritte wieder zu hören, nahm ich an, daß er sich mit demjenigen, den er sprechen wollte, verabredet hatte, am Fuß dieses Baumes zusammenzutreffen. Das war mir nichts weniger als lieb, denn ich konnte den freien Raum, welcher zwischen mir und der Erle lag, unmöglich überschreiten, ohne gesehen zu werden. Unter den Bäumen und im Gebüsch hatte Dunkelheit geherrscht, vor mir hingegen war es, obgleich der Mond noch nicht am Himmel stand, so hell, daß man mich unbedingt bemerken mußte, zumal ich den alten, lichten Anzug trug. Der neue befand sich noch im Bündel hinter dem Sattel. Doch gerade dieser Umstand ließ mich auf ein Mittel verfallen, meinen Zweck doch zu erreichen. Die Ufer des Baches waren ziemlich hoch, und so konnte mir das Wasser als Weg nach der Erle dienen. Hätte ich den neuen, teuren Anzug getragen, so wäre der Gedanke, ihn durch und durch einzunässen, mir wohl nicht als sehr annehmbar erschienen.
Ich leerte also meine Taschen, legte auch den Gürtel mit allem, was in demselben steckte, ab, verbarg diese Gegenstände im Busch und stieg über das Ufer ins Wasser hinab. Es war hier in der Nähe seines Einflusses in den See so tief, daß es mir bis unter die Arme reichte. Ich brauchte mich also, um bis an den Mund darin zu sein, nur ein wenig niederzuducken. Dazu kam, daß das Ufer weit über eine Elle höher als der Wasserspiegel war; so konnte mich also nur derjenige bemerken, welcher die Wasserfläche des Baches absichtlich beobachtete.
Ich schob mich nun vor, langsam und Schritt um Schritt, um keine Wellen zu verursachen. Je weiter ich vorwärts kam, desto vorsichtiger verfuhr ich und desto tiefer nahm ich den Kopf in das Wasser. Zuweilen blieb ich stehen, um zu lauschen. Ja, ich hörte Stimmen. Es sprachen zwei in gedämpftem Ton miteinander. Nach einiger Zeit erreichte ich den Baum, ohne bemerkt worden zu sein, und konnte mich nun sicher fühlen, denn hier im Schatten seines Wipfels wurde ich kaum entdeckt.
Ich streckte die Hände aus, um sie auf die hohe Uferkante zu legen, hielt mich da fest und zog mich langsam hinauf, so daß meine Augen in gleicher Höhe mit dem Ufer kamen. Ich sah zwei Männer am Stamm sitzen, höchstens drei Ellen vor mir, und hörte auch, was sie miteinander sprachen. Es war der frühere Kajütenwärter mit seinem Vater, nicht Melton. Ich hörte den Vater zum Sohn sagen:
„Dem Haziendero fiel es natürlich gar nicht ein, auf meinen Vorschlag einzugehen.“
„Du botest wohl nicht genug?“ fragte der Sohn.
„Ich habe noch kein Gebot getan, weil er eben sagte, daß er keine Veranlassung habe, die Besitzungen zu verkaufen. Wenn aber die Indianer dagewesen sind, wird er anders reden. Selbst wenn er Lust zum Verkauf gehabt hätte, wäre mein Gebot ein so geringes gewesen, daß es ihm nicht hätte einfallen können, auf dasselbe einzugehen. Ich sehe nicht ein, warum ich jetzt vielleicht drei Viertel des Wertes bieten soll, wenn ich den ganzen Kram später für ein Viertel bekommen kann.“
„So billig nun wohl nicht!“
„O doch. Die Hazienda befindet sich dann in einem Zustand, welcher es notwendig macht, ein Kapital hineinzustecken, wie es der Haziendero nicht mehr besitzt. Will er dann nicht ganz zum Bettler werden, so muß er verkaufen.“
„Wie nun, wenn er dieses Kapital geliehen bekommt?“
„Das bilde dir nicht ein. Einem mexikanischen Geldmann fällt es nicht ein, sein schönes Geld an eine solche Liegenschaft zu wagen; dazu ist er nicht spekulativ genug. Bei uns ist es etwas anderes. Es ist vorauszusehen, daß wir über kurz oder lang aus den Vereinigten Staaten fort müssen. Utah ist für uns verloren, und unsere schöne große Salzseestadt wird in nicht ferner Zeit den Unheiligen in die Hände fallen. Die Vielweiberei ist nun einmal gegen die sogenannte christliche Moral und gegen die Gesetze der Union, deren Bewohner ja die ‚allermoralischsten‘ sind; wir aber lassen nicht von ihr, und so wird und muß es zu einem Auszug kommen, welcher allerdings an Großartigkeit in der Geschichte nicht seinesgleichen haben wird. Was war der Auszug der Kinder Israel aus Ägypten gegen die gewaltige Völkerwanderung, welche dann eintreten wird,
Weitere Kostenlose Bücher