37 - Satan und Ischariot I
ist, deinen Vater zu erwarten und herbeizubringen?“
Der Angeredete entfernte sich wieder, und einige Zeit später kehrten die Yumas zurück, welche die Verfolgung fortgesetzt hatten. Meine Hoffnung war keine vergebliche gewesen; sie brachten den Mimbrenjo nicht. Als der Häuptling dies sah, sprang er auf, faßte den vordersten von ihnen beim Arm, schüttelte ihn und schrie:
„Ihr kommt auch allein? Seid ihr denn stinkende Würmer, welche Schmutz fressen und unter der Erde wühlen und deshalb nicht sehen, was sich auf derselben befindet? Ich werde euch heimschicken; da könnt ihr Weiberröcke anziehen und Zelte flicken, was nur die alten Squaws tun, welche zu nichts weiter nütze sind!“
Das war eine Beleidigung, wie sie kaum größer sein konnte. Er ging mit derselben über seine Befugnisse hinaus. Ein Indianerhäuptling besitzt nämlich keine andere Macht als diejenige, welche ihm von seinem Stamm freiwillig übertragen worden ist; sie kann ihm in jedem Augenblick wieder genommen werden. Er kann, falls er sich seiner Würde nicht wert zeigt oder seine Befugnisse überschreitet, augenblicklich abgesetzt werden und ist dann nichts mehr als jeder andere Stammesgenosse. Der Indianer, gegen welchen die zornigen Worte gerichtet waren, riß sich los und antwortete in zurechtweisendem Ton:
„Wer gibt dem ‚Großen Mund‘ die Erlaubnis, mich in dieser Weise anzufassen und anzureden? Wenn ich falsch gehandelt habe, so mögen die Ältesten des Stammes über mich zu Gericht sitzen und ihr Urteil fällen, dem ich mich unterwerfen muß; wer mich aber beleidigt, der mag sein Messer nehmen und mit mir kämpfen. Der ‚Große Mund‘ mag bedenken, daß er, indem er mich beschimpft, auch alle Krieger beschimpft, welche mit mir gewesen sind!“
Diejenigen, für welche er mit diesen Worten sprach, ließen ein beifälliges Gemurmel hören. Der Häuptling sah ein, daß er sich zu weit hatte hinreißen lassen, und entgegnete in sehr gemäßigtem Ton:
„Mein Bruder mag annehmen, daß es nicht meine Worte waren, welche er hörte, sondern daß der Zorn aus mir gesprochen hat.“
„Ein Mann muß es verstehen, seinen Zorn zu bemeistern, doch will ich annehmen, daß nichts geredet worden sei. Wenn der ‚Große Mund‘ selbst gegangen wäre, um den Knaben zu suchen, so hätte er ihn auch nicht gefangen.“
„Aber die Beine eines Kindes sind doch kürzer als diejenigen erwachsener Männer. Ihr hättet ihn unbedingt ereilen müssen!“
„Wir sind gelaufen, bis wir keinen Atem mehr hatten, haben ihn aber nicht einmal zu sehen bekommen, weil der Vorsprung, den er hatte, zu groß gewesen ist! Dann verschwand seine Spur auf dem Felsen, welcher so hart ist, daß er keine Eindrücke annimmt.“
„Habt ihr nur seine Fährte und nicht auch eine andere gesehen?“
„Nur die seinige.“
„So befinden sich sein Bruder und seine Schwester nicht mehr bei ihm. Nur Old Shatterhand ist bei ihm gewesen und wird uns Auskunft geben müssen.“
Nach diesen Worten trat er zu mir und redete mich zum erstenmal an:
„Wie bist du mit dem Knaben, den wir suchen, hierhergekommen? Seid ihr gelaufen oder geritten?“
„Warum fragst du mich?“ antwortete ich. „Du willst nicht nur ein Krieger, sondern sogar ein Häuptling sein und bedarfst meiner, um zu erfahren, was der Verstand jedes Kindes sofort entdecken würde. Frage deinen Scharfsinn, wenn du überhaupt welchen besitzt, nicht aber mich!“
„Du willst nicht antworten, Hund?“ fuhr er mich an.
„Belle immerhin! Von mir erfährst du nichts.“
Der Ausdruck bellen erzürnte ihn so, daß er sein Messer aus dem Gürtel zog; er steckte es jedoch wieder zurück, versetzte mir einen Fußtritt und sagte:
„So schweig! Du wirst ja sobald heulen und schreien müssen, daß man es über alle Berge hört.“
„Gewiß nicht eines Feiglings wegen, wie du bist, der vor mir ausgerissen ist und dabei vor Angst seine Flinte weggeworfen hat!“
„Sei still, sonst ersteche ich dich im Augenblick!“ schrie er, indem er das Messer wieder zog.
„Stich immer zu! Bringst du mich zum Schweigen, so doch deine Schande nicht. Dein Gewehr befindet sich in den Händen der Mimbrenjos, welche du zu deinen Todfeinden gemacht hast. Wie werden sie über dich lachen, wenn sie erfahren, daß du, der Häuptling der Yumas, aus reinem Entsetzen die Waffe weggeworfen hast und wie ein Wind entflohen bist!“
Ich reizte ihn mit Absicht, um ihn zum Sprechen zu bringen, denn ich wollte nicht länger warten, zu
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