38 - Satan und Ischariot II
ich, daß mehrere Feuer brannten, doch ließ man sie bis auf ein einziges, welches während der ganzen Nacht unterhalten werden sollte, bald wieder ausgehen. Der Lärm des Lagers verstummte zeitig; man legte sich früh schlafen, weil morgen noch vor Tagesanbruch der Paß verlassen werden sollte.
Mein Wächter verließ von Zeit zu Zeit seinen Platz vor der Tür und kam herein, um sich zu überzeugen, daß ich noch da sei, und um meine Fesseln zu betasten. Wie es schien, wollte er dies die ganze Nacht so durchführen.
Ich arbeitete mit Eifer an meinen Handfesseln herum und hatte alle Hoffnung, noch vor dem Morgen die Hände aus denselben zu bekommen. Wenn mir dies gelang, war ich gerettet. Aber dessen bedurfte es gar nicht, denn noch war nicht Mitternacht, als ich ein leises Geräusch an der hintern Seite des Zeltes hörte. Es war so dunkel, daß ich unmöglich etwas erkennen konnte, aber ich sagte mir gleich, daß Winnetou es sei, von dem dieses Geräusch herrührte. Ich horchte.
„Scharlih, Scharlih!“ flüsterte es da ganz in meiner Nähe.
Ja, es war Winnetou, denn in dieser Weise pflegte er meinen Vornamen auszusprechen.
„Hier bin ich“, antwortete ich ebenso leise.
„Natürlich gefesselt?“
„Gefesselt und noch an einen Pfahl gebunden.“
„Kommt dein Wächter herein?“
„Von Zeit zu Zeit.“
„Wie seid ihr gefangengenommen worden?“
Ich erzählte es ihm in kurzen Worten, erklärte ihm auch den Verrat des Kolarasi und fügte hinzu:
„Krüger-Bei ist im Zelt des Scheiks. Wo Emery steckt, werden wir bald erfahren.“
„Ich weiß es, denn ich sah, wohin man ihn schaffte. Er befindet sich auf der entgegengesetzten Seite des Lagers.“
„So schneide mich ab! Wir müssen uns beeilen, die beiden freizumachen.“
„Nein, das werden wir nicht, weil wir damit alles verderben würden. Die Uled Ayar dürfen nicht merken, daß ihr fort seid! Sie würden sofort annehmen, daß wir unsere Soldaten holen, und das würde sie zum sofortigen Aufbruch veranlassen. Also müßt ihr hier bleiben. Sieht das mein Bruder Old Shatterhand ein?“
„Ja. Aber dann muß ich darauf rechnen, daß unsere Soldaten ganz gewiß kommen!“
„Du darfst nicht bloß darauf rechnen, sondern du sollst sie selbst holen.“
„Aber ich darf doch nicht fort! Mein Wächter würde es bemerken und Lärm schlagen.“
„Er wird nichts bemerken, denn ich bleibe an deiner Stelle hier.“
„Winnetou!“ hätte ich beinahe ganz laut ausgerufen. „Welch ein Opfer!“
„Es ist kein Opfer. Wenn ich allein gehe, kann ich nicht mit den Soldaten sprechen. Wenn du mitgehst, entdeckt man es, und der Fang gelingt uns nicht. Wenn aber ich hier bleibe und du gehst, ist es ganz sicher, daß wir sie fangen, denn du wirst sie noch während der Nacht einschließen, so daß sie am Morgen nicht aus der Schlucht können. Für mich ist keine Spur von Gefahr dabei, daß ich hier bleibe.“
Er hatte recht. Man könnte mich wohl dafür, daß ich dieses sein Anerbieten annahm, verurteilen; aber wir kannten uns und wußten, daß wir uns aufeinander verlassen konnten.
„Gut, ich willige ein“, erklärte ich. „Bist du bei den Unserigen gewesen, seit wir gefangengenommen worden sind?“
„Nein; ich hatte keine Zeit dazu. Ich mußte vor allen Dingen dich heraus haben.“
„Wie will ich sie finden, da ich nicht weiß, wo sie sind?“
„Wenn du gerade gegen Norden reitest, mußt du auf sie stoßen. Sie haben jedenfalls da, wo die Felsen aufhören, Halt gemacht.“
„Am südlichen Ende des Warr? Das denke ich auch. Du sprichst vom Reiten. Natürlich meinst du auf deinem Pferd?“
„Ja. Wenn du aus der Schlucht kommst, gehst du tausend Schritte gegen Norden; da habe ich es angehobbelt. Meine Waffen hängen am Sattel; nur das Messer habe ich mit.“
„Das behältst du auch, um für alle Fälle etwas zur Verteidigung zu haben. Wie aber, wenn der Wächter hereinkommt und dich anspricht? – Du kannst ja nicht antworten!“
„Ich werde schnarchen, damit er denkt, ich schlafe.“
„Gut! Hoffentlich dauert es nicht lange, bis ich wieder da bin. Soll ich dir vielleicht ein Zeichen geben?“
„Ja. Drei Schreie eines Geiers.“
„Gut! Also binde mich los! Dann fessele ich dich; aber so, daß du dir die Hände leicht frei machen kannst.“
Dies geschah; dann verabschiedete ich mich von dem Apachen und kroch zum Zelt hinaus. Das war nicht schwer. Die Leinwand war mit Hilfe von Schnüren unten an der Erde an die Zeltstangen festgebunden.
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