38 - Satan und Ischariot II
Warum bestimmst du über unsere Gefangenen, als ob sie die deinigen seien?“
„Das sind sie doch auch!“
„Nein. Sie sind von meinen Kriegern ergriffen worden. Wer den Vogel fängt, dem gehört er. Die beiden Männer bleiben ebenso hier bei mir, wie der Herr der Heerscharen hier bleiben wird.“
„Das kann ich nicht zugeben!“
„Ich frage nicht nach dem, was du zugibst oder nicht. Hier gilt nur mein Wille.“
„Nein! In diesem Falle gilt der meinige!“
Und auf mich deutend, fuhr er fort:
„Du weißt nicht, welches Interesse ich an den Männern habe. Dieser da ist ein entsprungener Verbrecher, welcher viele Mordtaten und andere Sünden auf dem Gewissen hat. Er wollte auch mich und meinen Bruder töten, was ihm aber glücklicherweise nicht gelungen ist. Ich habe also eine Blutrache mit ihm; er ist mir verfallen und gehört nicht euch, sondern mir.“
Da trat ich auf ihn zu, stieß ihm, da ich ihn mit meinen gefesselten Händen nicht züchtigen konnte, mit dem Fuß, daß er hintenüber und zur Erde flog und rief:
„Schurke, du drehst die Verhältnisse um. Du selbst bist der Flüchtling und Mörder, und ich verfolge dich, um dich der Gerechtigkeit zu überliefern!“
„Hund!“ schrie er, indem er aufsprang und auf mich losstürzte. „Du wagst es, eine solche Lüge gegen mich –“
Er kam nicht weiter. Um mich fassen zu können, mußte er an Emery vorüber, und dieser versetzte ihm ebenfalls einen so gewaltigen Tritt, daß er wieder zur Erde flog und die Besinnung verlor. Dies geschah so schnell, daß kein Mensch Zeit fand, ihn daran zu hindern. Es hatte aber überhaupt gar nicht den Anschein, als ob, selbst wenn Zeit dazu gewesen wäre, irgend jemand Lust gehabt hätte, dem Kolarasi diese mehr als verdiente Züchtigung zu ersparen.
Ich wollte mich hierauf an den Scheik wenden und eben zu sprechen beginnen, da gab er mir ein Zeichen zu schweigen, und sagte:
„Still! Ich mag nichts hören von dem, was du mir sagen willst. Daß Ihr diesen Menschen mißhandeln durftet, ohne daß ich Euch dafür bestrafe, mag Euch genug sein. Ihr erseht daraus, was ich von ihm denke. Er nennt dich einen Flüchtling und Mörder. Du siehst nicht aus wie ein entflohener Verbrecher, und der Herr der Heerscharen würde keinen solchen in seiner Nähe und an seinem Herzen dulden. Du bist ein Almani, also wohl ein Christ?“
„Ja.“
„So kennst du das Leben eures Heilandes, den auch wir für einen Prophetenhalten?“
„Ja.“
„Er hatte zwölf Jünger und Schüler. Einer davon verriet und verkaufte ihn. Weißt du, wie dieser hieß?“
„Judas Ischariot.“
„Gut! So ein Ischariot ist der Kolarasi, denn er hat seinen Freund und Herrn, den Obersten der Heerscharen, verraten und verkauft. Er scheint eine große Rache auf euch zu haben und würde euch wohl gar töten. Ich kenne ihn. Er ist ein Mörder; ich kann das beweisen, denn erst heut hat er einen Mann erschossen, dessen Freund er war. Euch soll dies nicht geschehen; ich liefere euch ihm nicht aus. Ihr seid nicht seine, sondern meine Gefangenen.“
„Soll ich dir erzählen, warum er meinen Tod wünscht?“
„Jetzt nicht, denn ich habe keine Zeit dazu. Was mit euch geschehen wird, werdet ihr erfahren. Damit ihr nicht entfliehen könnt, werde ich euch gut bewachen lassen, und damit ihr nicht miteinander reden möget, werde ich euch trennen. Jeder von euch kommt in ein anderes Zelt zu liegen. Der Herr der Heerscharen wird hier in dem meinigen bleiben.“
„Ich habe dir aber einige sehr wichtige Dinge mitzuteilen, welche ganz geeignet sind, dir zu beweisen –“
„Jetzt nicht, jetzt nicht“, unterbrach er mich. „Später, wenn wir mehr Zeit haben, kannst du mir sagen, soviel du willst.“
Er rief zwei seiner Beduinen herbei, erteilte ihnen einige leise Weisungen, und dann wurden wir von ihnen fortgeschafft. Der eine brachte mich in ein Zelt, wo er mir nun auch die Füße band. Dann schlug er einen Pfahl tief in die Erde und befestigte mich mit Stricken an denselben. Dann setzte er sich draußen vor dem Eingang nieder, um mich zu bewachen.
Die Trennung von meinen beiden Gefährten war mir freilich nicht lieb; es ließ sich aber nichts dagegen tun.
Mittlerweile wurde es dunkel und immer dunkler. Der Abend brach herein. Nach dem Abendgebet brachte mir mein Wächter einige Schluck Wasser; zu essen bekam ich nichts. Bemerken muß ich noch, daß er mir alles abgenommen hatte, was sich in meinen Taschen befand.
Durch die Leinwand meines Zeltes bemerkte
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