39 - Satan und Ischariot III
dieselbe Aufnahme finden. Ich komme später nach.“
„Wann?“
„Wenn die vier Menschen fort sind, welche sich hier wie die Herren der ganzen Welt gebärden. Ich muß bleiben, um zu erfahren, was sie dann tun, und wohin sie sich wenden. Dann komme ich nach und werde Jonathan am Klekie-Tse (‚Weißer Felsen‘) treffen, wo er mich erwartet. Nun machen Sie sich fort, doch hüten Sie sich, daß Sie nicht erwischt werden. Hier ist das Messer, nur ein Tischmesser, aber Sie haben ja keine andere Waffe!“
Sie entfernte sich. Ich wartete noch eine Weile und stand dann auf, um auf die Terrasse zu steigen. Dort saß Winnetou. Ich fragte ihn:
„Kennt mein Bruder Bitsil-Iltscheh, den Häuptling der Mogollon Indianer.“
„Ja“, antwortete er. „Er ist ein tapferer Krieger und hat noch nie sein Wort gebrochen.“
„Gibt es in seinem Gebiet einen Ort, welcher Klekie-Tse genannt wird?“
„Ja; ich kenne ihn. Warum fragt mein Bruder nach dem Häuptling und nach diesem Ort?“
„Weil Jonathan Melton dorthin ist.“
„Uff! Woher weiß das Old Shatterhand?“
Ich erzählte es ihm. Da meinte er, leise vor sich hinlachend:
„Mein Bruder ist nicht nur klug wie ein Fuchs, sondern sogar klüger wie eine Squaw, was Winnetou nicht von sich sagen kann. Wir werden nach dem ‚Weißen Felsen‘ reiten.“
Als die gegen Emery erwähnten zwei Stunden vergangen waren, stieg ich hinab, scheinbar, um ihn abzulösen. Er saß auf einem Stuhl, hielt den Kopf gesenkt und stellte sich schlafend. Judith saß auf einem zweiten Stuhl; ihr Blick traf herausfordernd und triumphierend den meinigen.
„Ah, was ist denn das!“ rief ich aus. „Ich glaube gar, du schläfst!“
Er tat, als ob er erwache, zog eine verlegene Miene und antwortete:
„Ah, wirklich! Ich war doch eingeschlafen, aber das kann nur einige Minuten gewesen sein.“
„Einige Minuten?“ lachte Judith. „Señor, Sie haben fast zwei Stunden lang in einem Atem geschlafen.“
„Was haben Sie denn getan, während Sir Emery schlief?“ fragte ich.
„Verschiedenes. Ich bin sogar ein wenig durch die Räume gegangen.“
„Waren Sie etwa auch bei Melton?“
„Natürlich! Ich kann Ihnen sogar sagen, daß Sie sein Gefängnis leer finden werden.“
„Leer? Sind Sie bei Sinnen?“
„Sogar sehr. Er ist seinem Sohn nach.“
„Da muß ich doch gleich – –“
Ich stellte mich höchst aufgeregt, nahm die Lampe und rannte hinaus; sie kam rasch hinterher, um sich an meinem Ärger zu weiden; Emery aber folgte überaus gemächlich nach. Ich war natürlich wütend, als ich die zerschnittenen Fesseln sah.
„Es hat ihm jemand geholfen!“ rief ich aus. „Er selbst konnte sich unmöglich selbst die Fesseln zerschneiden. Wüßte ich, wer – ah, Señora, ich glaube, Sie wissen am besten, wer es gewesen ist!“
„Meinen Sie?“ fragte sie mit lächelnder Überlegenheit. „Nun, ich will aufrichtig sein und nicht leugnen. Ja, ich war es, Señor.“
„Sie, Sie haben ihn befreit! Sie haben das gewagt?“
„Ja, ich, kein anderer Mensch! Jetzt sehen Sie wohl, wer Dummheiten macht, ich oder Sie! Wo ist nun die zweite, noch größere Dummheit, welche Sie so zuversichtlich von mir erwarteten? Erfüllen Sie mir doch Ihr Versprechen, mir zu sagen, wo Jonathan Melton zu finden ist! Ja, ja –“ und dabei lachte sie aus vollem Hals – „so ein Gesicht wie das Ihrige, ist das Ideal der Albernheit. Gehen Sie hin, und bessern Sie sich, Señor!“
„Hm, ja, ich will hingehen; aber bitte, gehen Sie mit, Señora, damit Sie sehen, wie ich mich bessere!“
„Das sei Ihnen gewährt. Schreiten Sie gefälligst voran!“
Es war kein Zweifel, sie fühlte sich als Siegerin, als mir weit überlegen. Ich führte sie hinüber nach der Stube, in welche wir Melton geschafft hatten. Emery kam hinter uns her, einen ganz unbeschreiblichen Ausdruck im Gesicht. Als wir beim Vorhang angekommen waren, sagte sie:
„Also hier wollen Sie mir Ihre Besserung zeigen? Na, so öffnen Sie!“
„Ja, Señora, meine Besserung, und zu gleicher Zeit aber auch die zweite Dummheit, welche ich Ihnen prophezeit habe. Da sehen Sie sie liegen!“
Ich schob die Vorhänge auseinander. Sie trat ein, warf einen Blick in den Raum, fuhr zurück und schrie:
„Melton! Da liegt ja Melton!“
Ihr Auge irrte ratlos zwischen ihm und mir hin und her.
„Ja, Melton“, antwortete ich. „Ganz natürlich! Wen haben Sie denn zu sehen erwartet?“
„Melton, Melton!“ wiederholte sie. „Das ist doch unmöglich!
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