39 - Satan und Ischariot III
erfahren, was sie mit ihm sprachen; darum stellten wir ihnen zwar zwei Posten hin, welche aufpassen sollten, daß die Fesseln des Häuptlings nicht gelockert oder gar gelöst würden, doch in solcher Entfernung, daß auch diese nichts hören oder gar verstehen konnten.
Es war gar nicht nötig, daß wir selbst bei ihm blieben; er war uns sicher. Selbst wenn die beiden Wächter nicht gut aufgepaßt hätten und er von seinen Banden befreit worden wäre, hätte er nach keiner Richtung entkommen können, weil rundum alles von den Nijoras besetzt war. Darum hatte ich nun Zeit, mich von dem Häuptling der letzteren hinter die Felsenhöhe zu Franz Vogel führen zu lassen. Winnetou ging nicht mit; er blieb auf der Platte zurück, um die Oberaufsicht zu führen. Dazu war kein Mensch so vortrefflich geeignet wie er mit seinen so außerordentlich scharfen und geübten Sinnen.
Es gab keinen Weg über die felsige Höhe. Wir mußten von Stein zu Stein klettern, wobei jeder einzelne Schritt mir Schmerzen bereitete. Ich bemerkte, daß ich die Folgen meines Sturzes vom Pferd doch längere Zeit mit mir tragen würde.
Jenseits der Höhe, um deren Fuß sich der so oft erwähnte Wald herumzog, gab es eine Art Prärie, auf welcher dichtes Gras zu finden war. Dort floß das Wasser, dessen Dasein ich vermutet hatte. Die Pferde der Nijoras weideten unter der Aufsicht einiger junger Krieger. An in die Erde gerammten Pflöcken war ein auf der Erde liegender Gefangener befestigt – Thomas Melton, und bei ihm saß Franz Vogel, der Geiger, der beste und zuverlässigste Wächter, dem man den alten Spitzbuben anvertrauen konnte. Franz sah uns kommen, sprang auf, kam mir entgegen und rief in der lieben, deutschen Sprache:
„Endlich, endlich sehe ich Sie! Was für eine Angst habe ich ausgestanden! Wie leicht konnte etwas Unvorhergesehenes geschehen und Sie abhalten oder gar Sie ins Unglück bringen!“
„In diesem Fall wäre ich meiner Ansicht nach meines Wortes entbunden gewesen. Es ist aber nichts derartiges vorgekommen, und so sehen Sie mich bei Ihnen.“
„Zu meiner großen Freude! Nun geben Sie mir aber vor allen Dingen Auskunft. Ich hörte vor einiger Zeit jenseits der Höhe schießen; dann war es wieder still. Das war so unheimlich. Ein Kampf mit einem Feind, welcher einige hundert Köpfe stark ist, muß doch wohl länger dauern!“
„Wenn gute Vorbereitungen getroffen sind, wie es hier geschehen ist, nein. Wir haben einstweilen Waffenstillstand.“
„Wie lange?“
„Gegen vier Stunden noch. Übrigens bin ich in der Lage, Ihnen einige außerordentlich freudige Botschaften zu bringen.“
„Welche, welche? Reden Sie doch!“
„Setzen wir uns ruhig nieder! Wer wird stehenbleiben, wenn er so schönen weichen Rasen unter sich hat!“
„Ja, setzen wir uns! Doch dann reden Sie! Welche Überraschungen sind es, von denen Sie sprechen!“
Als wir nun nebeneinander saßen, antwortete ich:
„Ich denke zunächst an zwei, obgleich es noch mehrere gibt. Sie werden Besuch bekommen von einem Herrn, der Sie eigentlich drüben in Frisco zu finden hoffte, Fred Murphy nämlich.“
„Murphy? Etwa gar der Advokat aus New Orleans?“
„Derselbe.“
„Was will er von mir?“
„Das wird er Ihnen selber sagen. Übrigens ist seine Reise vollständig unnütz gewesen. Aber Sie bekommen noch weiteren Besuch.“
„Mit diesem Murphy?“
„Ja.“
„Wen denn?“
„Eine Dame, Ihre Schwester.“
„Was ist das doch wunderbar, so außerordentlich wunderbar! Dazu gehört ein Mut, den ich weder meiner Schwester noch dem Advokaten zugetraut hätte!“
„Mut? Sagen wir lieber, wenn wir offen sein wollen, Leichtsinn, oder um es etwas milder auszudrücken, eine vollständige Unkenntnis der Gefahren und Beschwerden, welche hier zu bestehen sind. Vor diesen habe ich Ihre Schwester damals in Albuquerque gewarnt, als sie, wie Sie sich erinnern werden, die Absicht aussprach, uns zu begleiten.“
„Sie haben recht, Sie haben recht! Aber da sie nun einmal hier ist, wollen wir ihr keine Vorwürfe machen. Wie ist sie denn mit dem Advokaten zusammen- und mit ihm auf den Gedanken gekommen, uns hier aufzusuchen?“
Und ich erzählte ihm, was er wissen sollte. Er schlang die Arme um mich. Ich ließ es mir gefallen, wehrte aber, als er mich gar wiederholt küssen wollte, durch die Warnung ab:
„Mäßigen Sie sich, liebster Freund! Wenn Sie jetzt Ihr ganzes Entzücken ausgeben, haben Sie keine Freude für die zweite Überraschung übrig, welche Ihrer
Weitere Kostenlose Bücher