4 - Wächter der Ewigkeit
hättest! Selbst wenn mir die auf diese Weise eingesperrten Dunklen leidtun, hege ich nicht den geringsten Zweifel daran, dass, falls die Dunklen ihrerseits die beiden Lichten ausgeschaltet hätten, die Lichten und die Menschen, die Geser und Rustam verteidigt haben, ein qualvoller Tod erwartet hätte … Ja, möglicherweise besiegt man das Böse nicht durch das Böse. Aber das Gute schafft man eben auch nicht nur durch Gutes.
»Hast du wenigstens eine Ahnung, was sie erreichen wollen?«, fragte ich.
»Nein.« Rustam schüttelte den Kopf. »Das habe ich nicht. Den Unterschied zwischen Menschen und Anderen ausradieren? Das wäre dumm! Dann müsste man alle Ungleichheiten in der Welt beseitigen. Zwischen Armen und Reichen, Starken und Schwachen, Männern und Frauen. Da wäre es einfacher, gleich alle umzubringen.« Er stimmte ein schallendes Gelächter an, worauf mir abermals schaudernd bewusst wurde, dass der Große nicht mehr ganz bei Verstand war.
»Du hast recht, Großer Rustam«, erwiderte ich gleichwohl mit aller Höflichkeit. »Das wäre ein dummes Ziel. Schon einmal hat ein Anderer versucht, es zu erreichen … mithilfe des Buchs Fuaran. Zugegeben, er hat nicht denselben Weg beschritten, sondern versucht, alle Menschen in Andere zu verwandeln.«
»Was für ein origineller Kopf«, erwiderte Rustam ohne jedes Interesse. »Aber ich räume ein, dies sind zwei Wege, die beide zum selben Ziel führen. Nein, junger Magier, alles ist wohl weitaus komplizierter!« Er kniff die Augen zusammen. »Meiner Ansicht nach dürfte der Inquisitor in den Archiven etwas entdeckt haben. Eine Antwort auf die Frage, was dieser Kranz der Schöpfung nun wirklich ist.«
»Und?«, hakte ich nach.
»Es muss eine Antwort sein, von der alle etwas haben. Sowohl die Dunklen wie auch die Lichten und die Inquisitoren, die das Gleichgewicht wahren. Erstaunlich, dass es eine solche Antwort überhaupt gibt. Sie könnte mich sogar ein wenig interessieren. Jetzt habe ich dir freilich alles erzählt, was ich weiß. Merlins Zauber löscht den Unterschied zwischen den Schichten des Zwielichts aus.«
»Du selbst bewohnst doch das Zwielicht«, bemerkte ich. »Du könntest uns ruhig mehr verraten! Denn wenn das Zwielicht verschwindet, stirbst du!«
»Oder werde ein normaler Mensch und lebe das mir verbleibende Menschenleben zu Ende«, erwiderte Rustam gleichmütig.
»Es werden alle sterben, die ins Zwielicht eingegangen sind!«, ereiferte ich mich. Alischer sah mich erstaunt an. Nun ja … er wusste noch nicht, dass der Weg der Anderen in der siebten Zwielicht-Schicht endet.
»Die Menschen sind sterblich. Warum sollten wir besser sein?«
»Äußere wenigstens eine Vermutung, Rustam!«, flehte ich. »Du bist weiser als ich. Was kann es sein? Was kann der Inquisitor gefunden haben?«
»Frag ihn selbst.« Rustam streckte die Hand aus. Er bewegte die Lippen, worauf ein Strom blendend weißen Lichts neben mir auf den Toyota traf.
Vermutlich hätte ich Edgar sogar selbst entdeckt – wenn ich erwartet hätte, ihn auf dem Plateau zu sehen. Vielleicht hätte jedoch auch die sorgsamste Überprüfung nichts gebracht. Edgar hatte sich nämlich nicht im Zwielicht und nicht mithilfe banaler, jedem Anderen zugänglicher Zauber verborgen. Er entzog sich unseren Blicken durch ein magisches Amulett, das auf seinem Kopf thronte und an eine Tjubetejka oder Kippa erinnerte. Nur die Maße erlaubten es nicht, sie als Tarnkappe zu bezeichnen. Sollte es also eine Tarntjubetejka sein, schließlich waren wir hier in Usbekistan.
Absolut automatisch stellte ich einen Schild auf. Alischer tat, wie ich bemerkte, genau das Gleiche.
Nur Rustam schien die Anwesenheit des Inquisitors nicht zu beunruhigen. Das von ihm ausgesandte Licht hatte Edgar getroffen, ohne dass er davon etwas mitbekommen hätte. Der Inquisitor saß auf der Motorhaube, ließ die Beine baumeln und beobachtete uns völlig ungerührt. Er schien gar nicht zu begreifen, was gerade passierte. Bis seine Tjubetejka anfing zu rauchen. Mit einem unterdrückten Fluch warf Edgar sie zu Boden. Erst da ging ihm auf, dass wir ihn sahen.
»Hallo, Edgar«, begrüßte ich ihn.
Seit dem Tag, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten -im Zug, bei dem Kampf mit Kostja Sauschkin –, hatte er sich nicht verändert. Allerdings trug er nicht den obligatorischen Anzug samt Krawatte, sondern war weitaus legerer und bequemer gekleidet: graue Leinenhosen, ein leichter weißer Baumwollpullover, solide Lederschuhe mit dicker Sohle
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