4 - Wächter der Ewigkeit
Frage.
»Damit du ihm alles überzeugend darlegst! Selbst mit der Katze um den Hals hätte Anton eine Lüge durchschauen können. Sauschkin, bitte lassen Sie unseren Gast los. Er wird nicht mehr gewalttätig werden. Jungs müssen ihre Probleme doch immer mit den primitivsten Mitteln klären …«
Unwillig trat Gennadi von mir zurück und ließ sich auf den Boden plumpsen, um dort im Schneidersitz Platz zu nehmen. Ich hielt nach einem einigermaßen intakten Stuhl Ausschau, auf den ich mich setzte, wobei ich demonstrativ nicht um Erlaubnis bat. Arina ging wieder zu ihrem Stuhl zurück. Als Edgar bewusst wurde, dass er als Einziger stand und sich zudem noch immer die schmerzende Stelle hielt, setzte er sich ebenfalls.
»Nachdem sich die Gemüter nun beruhigt haben, können wir in aller Sachlichkeit miteinander reden«, tat Arina im Ton der freundlichen Herrin eines literarischen Salons kund, die gerade hatte miterleben müssen, wie ein Poet einen zweiten an den Locken zog. »Friede, Friede und nichts als Friede! Lass mich dir jetzt alles erklären, Anton … Dir ist doch klar, dass es mir viel schwerer fallen würde zu lügen als Gena oder Edgar.
Wir wollen keine Horrorszenarien. Wir wollen die Welt nicht vernichten. Wir wollen die Menschen nicht vernichten. Wir wollen einzig diejenigen ins Leben zurückführen, die von uns gegangen sind.«
»Wie haben sie dich geködert, Arina? Mit einem Geliebten? Einem Kind?«
In Arinas Augen spiegelte sich mit einem Mal großer Schmerz wider.
»Mein Geliebter … Ich hatte einen Liebsten, Zauberkundiger. Er ist gestorben. Selbst für einen Menschen ist er nicht alt geworden … Und eine Tochter hatte ich. Früher, noch bevor ich ihn kennenlernte. Auch sie ist gestorben. Mit vier Jahren … an einer Seuche. Ich war nicht in ihrer Nähe und konnte sie nicht retten. Selbst der Kranz wird sie nicht zurückbringen, denn sie waren Menschen. Dorthin, wo sie jetzt womöglich sind, führt für uns kein Weg. Und sie können nicht zurückkommen.«
»Weshalb hast du dann …« Die unvollendete Frage hing in der Luft.
»Genau sie hat uns gefehlt«, meinte Gennadi leise und kicherte heiser. »Sie ist jetzt nämlich eine Lichte wie du. Sie mordet nur aus hehren Motiven …«
»Aus, Blutsauger!« Arinas Augen funkelten. Mit derselben ruhigen Stimme wie zuvor fuhr sie dann fort: »Er sagt die Wahrheit, Anton. Ich bin bewusst eine Lichte geworden. Mein Verstand hat es mir befohlen, nicht meine Seele, wenn du so willst. Ich hatte genug von den Dunklen. Von ihnen wird dir nie etwas Gutes widerfahren. Zunächst habe ich mir überlegt, der Inquisition beizutreten, aber sie hatte mir zu viel angehängt. Außerdem mag ich sie nicht, diese selbstgefälligen Betbrüder … Entschuldige, Edgar, für dich gilt das natürlich nicht. Damals bin ich wirklich nach Sibirien gefahren. Ich habe mich in Tomsk angesiedelt, einer schönen, ruhigen Stadt. Sie ist dem Licht zugeneigt. Ich habe auf die althergebrachte Weise als Zauberin gearbeitet. In Zeitungen inseriert, bis dann jemand aus der Wache gekommen ist, um mich zu überprüfen. Dabei habe ich mich als Scharlatanin ausgegeben. Es fällt mir nicht schwer, einen einfachen Wächter um den Finger zu wickeln. Nach einer Weile habe ich mich aber dabei ertappt, wie ich nur noch Gutes vollbrachte. Ich habe den Frauen ihre Männer zurückgegeben -aber nur, wenn die Liebe noch frisch war, wenn ich sah, dass fortan alles besser werden würde. Ich habe Krankheiten geheilt. Vermisste gesucht. Die Jugend zurückgegeben … ein wenig zumindest. Bei all dem kommt es nur darauf an, einen Tropfen Magie zu verteilen, vor allem aber, den Menschen Glauben an sich selbst einzuflößen, sie dazu zu bringen, ein gutes Leben zu führen. Und niemals habe ich jemanden behext oder ihm Liebe zu einer ungeliebten Frau eingegeben … Ich hatte beschlossen, keine dunklen Spiele mehr zu spielen. Weißt du, was ein Anderer braucht, um die Farbe zu wechseln?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Er muss etwas Großes, etwas Wichtiges ersinnen. Es reicht nicht, ein Jahr lang gute Taten zu vollbringen, um ein Lichter zu werden, oder nur Böses zu schaffen, um ein Dunkler zu werden. Nein. Er muss sich etwas überlegen, das alles in ihm umkehrt. Damit alles, was er bisher in seinem Leben angerichtet hat, verblasst … ja, vielleicht sogar gänzlich ausradiert wird.«
»Ist Merlin deshalb auf den Kindermord verfallen?«, fragte ich.
»Ich glaube ja«, meinte Arina nickend. »Worauf denn sonst?
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