4 - Wächter der Ewigkeit
Besucher, inzwischen still geworden, setzten sich in einen langen metallenen Kahn, der langsam über das dunkle Wasser »ins Schloss zu den Vampiren« glitt. Hohngelächter und bedrohliche Stimmen zerrissen die Dunkelheit. Über ihren Köpfen schlugen unsichtbare Flügel zusammen. Das Wasser grummelte. Der Eindruck wurde einzig dadurch zunichte gemacht, dass der Kahn bloß fünf Meter fuhr – danach gaukelten den Bootsinsassen ins Gesicht blasende Ventilatoren die Bewegung vor.
Gleichwohl wirkte der Horror auf Lera. Sie schämte sich für ihre Angst, empfand sie aber dennoch. Viktor und sie saßen auf der letzten Bank, um sie herum war niemand, vorn stöhnten und kicherten die Schauspieler gemäß ihrer Vampirrolle, hinter ihnen …
Hinter ihnen war Leere.
Trotzdem wollte Lera das Gefühl nicht verlassen, da wäre jemand.
»Vitja, ich habe Angst«, stieß Lera hervor und griff nach seiner Hand.
»Dummerchen …«, flüsterte ihr Viktor ins Ohr. »Fang mir jetzt bloß nicht an zu weinen, okay?«
»Gut«, versicherte Lera.
»Ha, ha, ha! Hier sind schreckliche Vampire!«, imitierte Viktor den Tonfall der Schauspieler. »Ich spüre genau, wie sie sich an mich heranschleichen!«
Lera schloss die Augen und packte seine Hand noch fester. Jungs! Sie alle sind Jungs, selbst mit grauen Haaren noch! Weshalb musste er sie so erschrecken?
»Autsch!«, schrie Viktor durch und durch überzeugend auf. Um dann hinzuzufügen.– »Jemand … jemand beißt mich in den Hals …«
»Blödmann!«, meinte Lera lakonisch, ohne die Augen zu öffnen.
»Lerka, jemand trinkt mein Blut …«, brachte Viktor mit verzagter und ersterbender Stimme heraus. »Aber ich habe nicht einmal Angst … wie im Traum …«
Ein kalter Wind wehte aus den Ventilatoren, das Wasser gluckerte gegen den Kahn, wilde Stimmen heulten. In der Luft hing sogar ein Geruch, der an Blut erinnerte. Kraftlos sank Viktors Hand nach unten. Voller Wut kniff Lera ihn heftig in die Hand, doch Viktor zuckte nicht einmal zusammen.
»Du machst mir Angst, du Blödmann«, rief Lera ziemlich laut.
Viktor antwortete nicht, sackte allerdings sanft gegen sie. Damit sah die Situation schon nicht mehr ganz so furchtbar aus.
»Ich werde dir noch selbst die Kehle durchbeißen!«, drohte Lera. Das schien Viktor peinlich zu berühren. Er schwieg. Zu ihrer eigenen Überraschung fügte Lera hinzu: »Und dann trinke ich dein ganzes Blut. Hast du verstanden? Sofort … nach unserer Hochzeit.«
Zum ersten Mal sprach sie dieses Wort im Zusammenhang mit ihrer Beziehung aus. Wie gebannt wartete sie auf Viktors Reaktion. Schließlich musste jeder unverheiratete Mann auf das Wort »Hochzeit« reagieren! Entweder erschrocken oder begeistert.
Viktor schien jedoch an ihrer Schulter eingedöst zu sein.
»Hab ich dich erschreckt?«, fragte Lera. Dann lachte sie nervös. Und öffnete die Augen. Um sie herum herrschte nach wie vor Dunkelheit, obwohl das Geheul sich inzwischen gelegt hatte. »Gut … ich werde dich nicht beißen. Und zu heiraten brauchen wir auch nicht!«
Viktor schwieg.
Die Mechanik quietschte, der Eisenkahn fuhr noch einmal fünf Meter durch den schmalen ausbetonierten Graben. Ein trübes Licht ging an. Die lärmenden Blagen strömten zum Ufer. Ein Mädchen von drei, vier Jahren hielt ihre Mutter bei der Hand und nuckelte an einem Finger, während sie immer wieder den Kopf zurückdrehte und Lera nicht aus den Augen ließ. Was interessierte sie denn bloß so? Eine junge Frau, die in einer ausländischen Sprache sprach? Nein, das konnte nicht sein, nicht in Europa …
Lera seufzte und schaute zu Viktor hinüber.
Der schlief tatsächlich! Seine Augen waren geschlossen, seine Lippen zu einem Lächeln erstarrt.
»Was hast du denn?« Lera schubste Viktor sanft – worauf er umzukippen und mit dem Kopf auf die Eisenkante des Boots aufzuschlagen drohte. Lera schrie auf und konnte Viktor gerade noch auffangen und auf die Holzbank betten. Was bedeutete das? Was geschah hier bloß? Warum war er so schlaff, so willenlos? Auf ihren Schrei hin kam sofort ein Angestellter herbeigeeilt – in schwarzem Umhang, mit Eckzähnen aus Plastik und schwarz und rot geschminkten Wangen. Behände sprang er in den Kahn.
»Ist mit Ihrem Freund alles in Ordnung, Miss?« Der Mann war noch sehr jung, vermutlich ein Altersgenosse Leras.
»Ja … nein … ich weiß nicht!« Sie sah den Angestellten an, doch der war selbst verwirrt. »Helfen Sie mir! Wir müssen ihn aus dem Boot schaffen!«
»Ob es was
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