40 - Im fernen Westen
tieferes Eindringen in das Wesen der Tonkunst meinen Gefühlen Ausdruck zu geben.“
„Dieses Eindringen aber ist schwer, wo nicht gar unmöglich.“
„Haben Sie nicht auch Dichter, welche nur durch tiefes und ernstes Studium zu ergründen sind? Nicht jeder schreibt mit einer so hinreißenden Klarheit und einer so fesselnden Logik wie der Autor des hier vor uns liegenden Aufsatzes.“
Sie griff vor sich hin und nahm ein Journal auf, welches auf dem Tisch lag.
„Es gibt auf dem Gebiet der Belletristik jetzt so viel Mittelmäßiges oder gar Wertloses, daß man mit der Auswahl seiner Lektüre nicht heikel genug sein kann. Kennen Sie dieses Blatt?“
„Gewiß. Es wird in der Hauptstadt verlegt, und der Herausgeber ist mir sogar einigermaßen befreundet.“
„Dann werden Sie wissen, daß es in seinen bisherigen Jahrgängen zu den erwähnten mittelmäßigen Journalen zu zählen war. Seit aber jener Unbekannte seine Beiträge liefert, ist es in die Reihe unsere ersten periodischen Schriften getreten, und die Zahl seiner Abonnenten hat sich um das doppelte vermehrt. Seine Arbeiten nehmen mein höchstes Interesse in Anspruch.“
„Dieses Interesse würde sich bedeutend abkühlen, wenn Sie Gelegenheit hätten, den Autor zu kennen.“
„Inwiefern?“
„Ja, es ist sogar möglich, daß Sie ihn gesehen haben, freilich ohne einen Schriftsteller von der Bedeutung, wie Ihre Güte sie ihm gibt, in ihm zu vermuten. Ich muß offen gestehen, daß ich seiner Schreibweise nicht huldige.“
„Ihn gesehen haben?“ fragte Wanda mit unverkennbarer Hast, und selbst die Baronin richtete einen raschen Blick auf den Sprecher. „Darf ich bitten, wo?“
„Wo anders als hier; denn ein Essenkehrer kann den Mut, mit dem Machwerk seines Gänsekiels an die Öffentlichkeit zu treten, nur dann haben, wenn ihm die Abgeschlossenheit eines Landstädtchens nicht erlaubt hat, zu der Erkenntnis zu kommen, daß Feueresse und Buchdruckerpresse zwei sehr verschiedene Dinge sind, trotzdem sich die beiden Worte reimen.“
„Ein Essenkehrer? Und hier? Wir haben nur einen!“
„Der Mann heißt, glaube ich, Winter.“
„Es ist derselbe, welchen ich riet. Aber wie ist das Geheimnis Ihnen offenbar geworden? Die Redaktion darf doch unmöglich indiskret sein.“
„Ich könnte jetzt meiner polizeilichen Allwissenheit eine Lobrede halten, aber die Wahrheit ist, daß ich den Mann vor einigen Wochen im Redaktionsbureau traf, wo ich zufälligerweise eine Erkundigung einzuziehen hatte. Dabei gab mir eine nebenbei gehörte Äußerung die Wissenschaft, welche ich jetzt Ihnen zur Verfügung stelle.“
„Ist es der Herr, welcher soeben eingetreten ist und sich dort nach einem Platz umsieht?“
„Ja, der ist es; eine Physiognomie wie die seinige ist nicht zu verkennen.“
„Bitte, Herr Winter, treten Sie zu uns; es ist ja wohl sonst kein Raum vorhanden.“ Und die beiden Herren einander vorstellend, fügte sie hinzu: „Es ist mir angenehm, Zeuge der Erneuerung Ihrer Bekanntschaft zu sein!“
Nach einigen durch die letztere Bemerkung veranlaßten Fragen entwickelte sich ein Gespräch, dessen Thema zu schwierig war, als daß der Kommissar ihm zu folgen vermocht hätte.
Während er deshalb mit vornehm gelangweilter Miene, als bewege sich die Konversation auf einem ihm zu alltäglichen Feld, dasaß, glänzte auf den Wangen des Mädchens die Freude über den seltenen Genuß, welchen das gesellschaftliche Talent des Schornsteinfegers ihr gewährte, und als der Baron kam und sie ihn begrüßte, geschah es mit einer Kälte, welche seinem Kommen sehr deutlich den Charakter einer unwillkommenen Störung gab.
Es war ein seltsamer Blick, welchen Winter ihm zuwarf, ein Blick, so tief forschend, als gälte es, die innerste Seele dieses Mannes zu ergründen. Und dieser Blick hatte seine volle Berechtigung, denn kurze Zeit vorher hatte Emil Gelegenheit gehabt, den Anfang eines Gesprächs zu belauschen, welches ihm von außerordentlicher Bedeutung sein mußte.
Er hatte im Haus des Polizeirats eine Esse zu reinigen, welche in den Kamin des Zimmers mündete, in welchem der Baron seine Besuche zu empfangen pflegte. Kaum in derselben angekommen, hatte er ein sehr lautes Sprechen vernommen und dabei den Namen Wanda von Chlowicki gehört. Leise hatte er sich bis zur Höhe des Rauchfangs heruntergelassen und war dann Zeuge folgender Unterredung geworden:
„Du hast ja damals den Löwenanteil erhalten!“
„Der mir aber von Seiten der liebenswürdigen Frau Justiz
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