40 - Im fernen Westen
brauste einer der nächsten Züge heran und brachte einen Reisenden herbei, welcher ohne sich viel umzusehen, auf eine bereitstehende Equipage zuschritt und in derselben sofort nach der Stadt fuhr.
Vor dem Haus des Polizeirats hielt der Wagen. Der Insasse sprang heraus, eilte mit raschen Schritten die Treppe hinan und trat unangemeldet in das Arbeitskabinett des alten Herrn, welcher am Schreibtisch saß und sich bei dem Eintritt des hastigen Gastes unwillig umdrehte. Aber bei dem Anblick desselben machte der Unwille, welcher in seinen Zügen sich gespiegelt hatte, einem freudigen Lächeln Platz, und mit herzlichem Gruß schob er, aufspringend, den Stuhl zurück.
„Ah, du bist's schon? Sei mir herzlich willkommen! Ich hätte nicht geglaubt, daß ein Wunsch deines alten Onkels so schleunige Berücksichtigung finden werde. Lege ab und mache es dir bequem. Die Häuslichkeit eines Hagestolzes bietet freilich der Bequemlichkeit nicht viel.“
„Du bist ungerecht gegen mich, Onkel! Oder habe ich deinen Wünschen nicht stets die notwendige Aufmerksamkeit entgegengebracht?“
„Die notwendigste, ja, die notwendigste. Doch davon sprechen wir ja nicht; die Hoffnung, das schönste und reichste Mädchen des Landes zu besitzen, ist ein mächtiger Sporn zur Rücksicht gegen den Onkel, ohne daß dieser darüber böse sein darf.“
„Dein Brief sagt mir so wenig, daß ich wirklich gekommen bin, nur um dich zu begrüßen.“
„So, na, mag sein. Ich schreibe kurz; aber denken konntest du dir doch, in welcher Angelegenheit ich dich sehen wollte.“
„Das ist allerdings wahr. Wie gefällt dir Fräulein von Chlowicki?“
„Sehr, sehr. Das Mädchen ist zwar ein Wildfang, aber ein allerliebster, dem man nicht gram sein kann. Ich habe mich über deinen Geschmack gefreut und noch mehr über das Gelingen meiner Intrige, welche bezweckte, ihre Mutter aus der Residenz, wo dir das Gelingen deiner Werbung durch so viele Nebenbuhler erschwert worden wäre, herzulocken in unser kleines Städtchen, wo ich Gelegenheit fand, eine der wenigen Personen zu sein, welche die Dame empfängt.“
„So bist du glücklich gewesen?“
„Sei nicht sanguinisch. Ich habe das Glück gehabt, Zutritt zu der Baronin zu finden, und durch meine Verbindungen ist es mir gelungen, zu entdecken, warum das Fräulein den Baron heiraten will, obgleich er ihr im tiefsten Grunde ihres Herzens verhaßt ist. Das ist aber auch alles, und das andere muß ich deiner eigenen Gewandtheit überlassen.“
„Ich habe mich noch nie getäuscht, wenn ich dieser Gewandtheit Vertrauen schenkte, Onkel. In der Residenz freilich war es unmöglich, mich bemerkbar zu machen; hier aber wird es anders sein, und ich habe weder den Baron noch die fadenscheinigen Spießbürgerprinzen zu fürchten. Doch, von welchem Grund sprichst du?“
„Nachdem ich mich vergeblich bemüht hatte, die alte, verschwiegene Baronin zu vertraulichen Mitteilungen zu bewegen, wandte ich mich mit meinen Erkundigungen nach auswärts. Es war das allerdings eine schwierige und delikate Angelegenheit, und meine Geduld wurde lange Zeit auf die Probe gestellt. Endlich aber erhielt ich von meinem Freund, welcher in der Nähe des Stammsitzes der Säumen wohnt, den gewünschten Aufschluß.“
„Und dieser lautete?“
„Die beiderseitigen Großväter des Barons und der Baronesse hatten, ich weiß nicht welchen, Rechtsstreit, den Chlowicki gewann, weil er es nicht verschmähte, zu zweifelhaften Mitteln zu greifen. Nach seinem Tod fanden sich Papiere vor, welche bewiesen, daß Säumen in seinem Recht gewesen sei, und der ehrenhafte Sohn des Verstorbenen kam zu dem Rechtsfeind seines Vaters, um ihm Genugtuung zu geben. Es handelte sich um ein höchst bedeutendes Objekt, und da die Chlowickis schlecht gewirtschaftet hatten, so hätte die Rückerstattung des unrechtmäßig Angeeigneten das ganze Vermögen des Vaters der schönen Polin verschlungen. Säumen, ein wahrer Edelmann, war überrascht und tiefgerührt von dem Verhalten Chlowickis und weigerte sich infolgedessen entschieden, auf die Restitution einzugehen. Nach langem Verhandeln, welches die Zeit von Jahren in Anspruch nahm, kam man endlich zu dem Schluß, Eginhardt und Wanda, welche beide damals noch Kinder waren, einander zu verloben und durch die spätere Verheiratung derselben die Schwierigkeit der Sache auf eine beide Teile zufriedenstellende Weise zu lösen.“
„Ah! Und die beiden Kinder sind diesem Beschluß gehorsam gewesen?“
„Wie es scheint,
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