40 - Im fernen Westen
ja. In welcher Zeit ihres Lebens man ihnen die betreffende Mitteilung gemacht und ob sich eins von ihnen gegen die Erfüllung des Übereinkommens gesträubt hat, das kann ich natürlich nicht sagen. Ich muß froh sein, das soeben Gesagte erfahren zu haben; tiefer in die diskreten Beziehungen der beiden Familien einzudringen, das ist nicht gut möglich. Nur so viel weiß ich, daß die alte Baronesse eine Bürgerliche ist, man sagt, eine Jugendliebe des Barons, welche er nach dem Tod seiner ersten Frau als Erzieherin seiner Tochter zu sich genommen und später geheiratet hat.“
„Woher aber dann ihre aristokratische Exklusivität?“
„Es ist eine sehr oft zu machende Erfahrung, daß Parvenüs sich mehr absondern als diejenigen, welche im noch unentdeckten Sternbild des Wappens geboren wurden.“
„Wanda hat sich jedenfalls nur gezwungen gefügt. Es gilt nun, nachzudenken, auf welche Weise sich die Sache so arrangieren läßt, daß dieser Zwang wegfällt.“
„Das wird nicht leicht sein. Redressiert das Mädchen die Verlobung, so ist sie zur sofortigen Rückerstattung des damaligen Verlustes nebst Zinsen verpflichtet.“
„Und wenn der Baron zurücktritt?“
„So verzichtet er auf diese Wiedererstattung. Und stirbt eins von den beiden vor der Hochzeit, so fällt sein Vermögen auf das andere. Beide sind nämlich die letzten und einzigen Sprossen ihres Geschlechtes.“
„Ist der Baron gesund?“ fragte der Polizist nach einer Pause des Nachdenkens.
„Er ist lang und hager; doch scheint er nichts weniger als krank zu sein. Das wäre allerdings der geradeste Weg aus dem Labyrinth.“
„Hm, Onkel, ich werde mir die Sache überlegen. Mein Urlaub ist kurz; warten könnte ich also nicht, selbst wenn ich wüßte, daß eine solche Lösung später zu hoffen wäre. Ich werde also in anderer Weise handeln müssen. Für jetzt aber werde ich mich auf einige Zeit zurückziehen; du weißt, Onkel, daß meine Konstitution unter dem Eindruck einer so langweiligen Bahnreise sehr zu leiden hat.“
„Ja, gehe; du kennst ja deine Zimmer. Sobald du dich ausgeruht hast, stehe ich dir wieder zur Disposition. Solltest du dich bald restauriert haben, so könnten wir den Konzertgarten besuchen, wo heute nachmittag die Honoratioren unserer Stadt ein musikalisches Amüsement abhalten und Wanda von Chlowicki jedenfalls auch zu sehen und vielleicht zu sprechen ist.“
„Wenn das der Fall ist, lieber Onkel, so werde ich zu meiner Erholung nicht langer Zeit bedürfen. Ich bin natürlich sehr in der Stimmung, dich zu begleiten.“ –
Einige Zeit später ging der alte Polizeirat an der Seite seines Neffen in das Konzert.
Wie der erstere vorhergesagt, war die feine Gesellschaft des Städtchens hier versammelt, um sich zu belustigen, und wirklich erschien auch die Baronin von Chlowicki in Begleitung ihrer Tochter, um als eine seltene Erscheinung an dem Vergnügen teilzunehmen. Da die übrigen Tische alle besetzt und nur in der Nähe des Polizeirates noch einige Plätze unbelegt waren, so erhob sich letzterer, um die Damen zu sich einzuladen.
Sie folgten seiner Bitte, und das Gesicht des Kommissars glänzte von dem Widerschein der Freude, welche er über das noch nie gehabte Glück empfand, an der Seite der still Angebeteten sitzen und die Funken seines Witzes sprühen lassen zu können.
Wirklich war auch Wanda die liebenswürdigste Gesellschafterin von der Welt, und wenn sie nach den Regeln der einfachsten Höflichkeit den Expektorationen ihres Nachbarn eine scheinbar zustimmende Aufmerksamkeit widmete, so nahm seine Selbstgefälligkeit aus dieser rücksichtsvollen Nachsicht immer neue Nahrung.
„Ich stelle die Musik hoch über die Dichtkunst“, meinte er im Laufe der Unterhaltung. „Letztere zwingt meine Gedanken in eine bestimmte Richtung, während die erstere die Freiheit meiner Gefühle weniger beschränkt.“
„Dürfte nicht zu bedenken sein“, antwortete das Mädchen, „daß die Töne für den wirklichen Kenner dieselbe Klarheit und Deutlichkeit besitzen, wie das gelesene oder gesprochene Wort?“
„Ich bedaure, mich dieser Ansicht nicht zuneigen zu können.“
„Aus welchem Grund?“
„Aus dem der Erfahrung. Die Gefühle, welche eine musikalische Dichtung in mir erregt, sind stets unbestimmte gewesen, und gerade diese ihre Eigenschaft ist es, welche uns wohl tut.“
„Ihre Behauptung entbehrt nicht ganz der Wahrheit; doch liebe ich solche Unbestimmtheit zu wenig, um mich nicht zu bemühen, durch ein
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