40 - Im fernen Westen
Sängerfest. Der Verein hatte seine Teilnahme schon längst zugesagt und heute seine letzte Besprechung abzuhalten.
Auch Winter schlug den Weg zu dem Vereinslokal ein. Er war bei der Tante gewesen, hatte längere Zeit mit Wanda gesprochen und die Befestigung seiner Überzeugung, daß seine Liebe keine unerwiderte sei, mit fortgenommen. Zwar hatte er seinen Gefühlen keine Worte gegeben; aber aus allem, was er tat und sprach, mußte Wanda erkennen, daß sie das Ziel seines Strebens sei, und während der ganzen, langen Unterhaltung hatte sie keine Silbe gesprochen, welche als eine Zurückweisung seiner Huldigung hätte gelten können.
Langsam schritt er deshalb jetzt die Straße hinab, um sich Zeit zu lassen, die Seligkeit der verflossenen Stunde noch einmal durchzukosten. Da kam eine leicht verhüllte Gestalt an ihm vorübergeschritten und blieb hinter ihm stehen.
„Emil!“
„Ja. Wer ist's?“
Es war sein Bruder, der ihn hier erwartet hatte.
„Fast hätte ich dich nicht erkannt“, sprach dieser. „Dein sonst so rascher Gang hat heute abend ja ein merkwürdig langsames Tempo angenommen. Hast du so viel Ursache zum Nachdenken?“
„Zum Nachfühlen würde vielleicht richtiger sein. Ich war bei Wanda.“
„Ich beneide dich, daß du Zutritt zu ihr nehmen darfst, während ich von den Verhältnissen gezwungen bin, mich zu verleugnen.“
„Du wirst später reichlich Gelegenheit haben, das Versäumte nachzuholen. Was tust du hier auf der Straße?“
„Ich wollte dich sprechen und wußte, daß du hier zu treffen sein werdest. Hast du mit Wanda über die Luftfahrt gesprochen?“
„Nein.“
„Sie hat sich vorhin ihren Platz definitiv bestellt.“
„Davon weiß weder die Tante noch ich etwas. Sie hat jedenfalls geschwiegen, um jedem Einwand vorzubeugen. Was mich betrifft, so werde ich kein Wort dagegen sprechen.“
„Das ist wohl doch nicht dein Ernst. Du kennst ja die Geschichte des Professors, den ich jedenfalls recht bald beim Kopf nehmen werde!“
„Freilich kenne ich sie; aber er wird von bedeutenden Fachmännern als ein tüchtiger Aeronaut anerkannt und hat noch niemals Malheur gehabt. Ich würde ohne Sorge mit ihm fahren, und was Wanda betrifft, so wünsche ich allerdings, daß sie ihrem Vorhaben entsagen möchte; aber wie ich sie kenne, wird sie durch jeden Widerspruch in ihrem Entschluß nur bestärkt werden. Sie ist durch das obstinate Wesen Säumens gewöhnt worden, ihm so oft wie möglich die starke Seite zu zeigen.“
„Aber ich bitte dich wirklich, sie von der Fahrt abzuhalten; es muß sich ja irgendein Vorwand finden lassen. Ich habe nämlich einige Ursache zu glauben, daß der Professor Böses im Schilde führt.“
„So sprich.“
„Du weißt, daß ich Hagen eine Beaufsichtigung meiner Schritte zutraute, und das ist mit vollem Recht geschehen. Er hat sich von dem Postsekretär meinen an den Staatsanwalt gerichteten Brief aushändigen lassen und ihn seinem Onkel vorgelesen. Darauf ging er zum Baron, jedenfalls in der Absicht, diesen zu einem vorteilhaften Übereinkommen zu bewegen.
Ich weiß nämlich, daß er gewisse Intentionen auf Wanda verfolgt. Und kurze Zeit nachher kam Säumen zu meinem jetzigen Prinzipal, mit welchem er längere Zeit verhandelt hat. Die Unterredung wurde leise geführt, und es waren mir nur die etwas lauter gesprochenen Schlußworte: ‚Sei ohne Sorge; wir kämen beide in die Tinte, wenn ich unehrlich sein wollte‘, verständlich. Aus ihnen aber läßt sich schließen, daß sie irgendein Übereinkommen getroffen haben, und es liegt die Sache so: Säumen hat nach deiner Ansicht jene Sprengung im Felsenbruch hervorgebracht; es ist ihm also leicht etwas Ähnliches zuzutrauen. Er ist ja der Erbe Wandas. Hagen hat ihm dummerweise gesagt, daß er ihn kennt; sein Verschwinden muß dem Baron also erwünscht sein. Beide, Hagen und Wanda, fahren mit dem Professor, der ein entsprungener Sträfling ist und früher Helfershelfer Säumens war, mit dem er jetzt geheime Zusammenkünfte pflegt – folglich?“
„Es will mir schwer werden, so schwarz zu sehen wie du; denn ich kann auch den schlechtesten Menschen einer Tat, wie du sie andeutest, nicht für fähig halten. Sie ist nicht nur fürchterlich, sondern auch über alle Maßen verwegen, da sie in der Öffentlichkeit vorgenommen werden müßte. Glücklicherweise ist das, was du denkst, nur eine Folge deiner Kombination, und ich hoffe sehr, daß du dich irrst.“
„Auch ich wünsche es. Aber warnen mußte ich
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