40 - Im fernen Westen
Geld bei sich, und wenn mit vorsichtiger Kühnheit verfahren wurde, so konnte auf die Besitzung zweimal, erst hier und dann am Ort selbst bei irgendeinem Bankhaus Geld erhoben werden. Er tat also, als sei er vollständig beruhigt, und lud, nachdem das günstige Resultat der Besichtigung abgewartet war, die beiden ein, das Frühstück in seiner Wohnung einzunehmen.
Das Erbleichen Säumens war nicht unbemerkt geblieben, sondern der Gegenstand seines Schrecks selbst hatte es scharf beobachtet. Er wußte genau, daß er dem Juden bekannt sei, und ahnte sofort den Inhalt der Mitteilung, die dieser gemacht hatte. Mit gewohnter Ruhe überlegte er die Folgen derselben nach allen Richtungen hin und kam zu dem Ergebnis, daß für den Augenblick nichts zu fürchten sei. Aber als er unter den Anwesenden des Schmieds ansichtig wurde, trat er zu ihm.
„Herr Gräßler, wollen Sie meinem Bruder eine dringende Botschaft bringen?“
„Warum denn nich? Her dermit!“
„Der Baron von Säumen ist jetzt mit zwei Herren in seine Wohnung gegangen. Von einem derselben wird er sich eine Summe Geldes leihen und damit die Flucht ergreifen.“
„Halt, da muß ich doch gleich – warten Se, ich will rasch loofen –! “
„Nur Geduld, mein Lieber; gar so eilig ist es noch nicht. Es ist das vielmehr nur der eine Fall, welchen ich setze, neben dem noch andere möglich sind. Und selbst, wenn meine Vermutung die richtige ist, wird sich der gnädige Herr vorher noch an der Wettfahrt beteiligen. Mein Bruder wird wahrscheinlich mit ihm im Wagen sitzen. Er soll ihn nicht aus den Augen lassen und sich für den Notfall mit einer Waffe versehen. Kurz vor der Abfahrt werde ich unbemerkt nahe treten und auf dem Kofferbrett Platz nehmen. Sie fahren mit Thomas per Extrazug und halten sich nach dem Aussteigen immer in unserer Nähe. Es ist möglich, daß diese Vorsichtsmaßregeln alle unnötig sind; aber ich kann auf sie nicht verzichten, da ich Rücksicht zu nehmen habe auf die Unzulänglichkeit meiner Beweise und die Distinktion der Baronin. Also gehen Sie.“
„Wird besorgt. Mir wär's am liebsten, wenn er wirklich ausreißen wollte; das wäre so een Spaß nach meinem Geschmacke.“ –
Die Stunde des Aufsteigens war gekommen. Vor den Waggons des Extrazugs hielt die Lokomotive und stieß mit schnaubenden Lauten die überflüssigen Dämpfe aus. Sämtliche Fenster der Wagenreihe waren geöffnet, und in jeder Öffnung hielten mehrere Köpfe erwartungsvollen Ausguck. Nur einer saß in einer Ecke und kümmerte sich nicht im mindesten um die Dinge, welche draußen vor sich gehen sollten.
Es war der Jude Levi Blumenbach, welcher heute das glänzendste Geschäft seines Lebens abgeschlossen hatte. Die Zahlen wirbelten ihm im Kopf herum, und um sein Hirn nicht von der Schwere der Prozente erdrücken zu lassen, mußte er der überschwenglichen Freude seines Herzens Ausdruck geben.
„Darf ich fragen, ob der Herr ist hier aus dem Städtchen?“ wandte er sich an den Gegenübersitzenden. Es war Gräßler, welcher neben Thomas Platz genommen hatte.
„Freilich bin ich von hier. Warum?“
„Ist der Herr bekannt mit den Persönlichkeiten, welche es gibt an diesem Ort?“
„Een bißchen. Mit wem denn zum Beispiel?“
„Kennen Sie den Baron oder Fürst von Säumen, welcher ist ein prächtiger und charmanter Herr und wiegt viele tausend Pfund in Gold?“
„Na und ob! Der is mir bekannt wie mein Amboß, off dem ich herumhämmern möchte, wenn ich ihn nur sehe. Er is es wert, daß man ihn in Gold faßt.“
„Was werden Sie sagen, wenn Sie hören, daß ich hab' gekauft vor einer Stunde sein ganzes Fürstentum!“
„Wo – wo – was hat er verkooft? An wen denn? An Sie?“
„Nicht direkt an mich, sondern an den Polizeikommissar Hagen, welcher auch ist ein Herr, der zu machen versteht Geschäfte.“
„So, so! Wollen Sie auf das Sängerfest?“
„Ja. Ich darf mir gönnen heut' ein Vergnügen und habe mir gekauft eine Karte für den Zug, welche ist sehr teuer. Aber ich will sehen, wer ankommt eher, mein Freund, der Fürst, oder mein Freund, der Baron von der Polizei, oder ich. Zwar bin ich gewesen zu vorsichtig, um zu machen eine Wette; aber ich werde gewinnen dieselbe und haben viel Plaisir.“
Zwischen dem vor der Stadt liegenden Bahnhof und dem freien Platz, auf welchem sich eine zahlreiche Menschenmenge um den Ballon drängte, waren die Geschirre, welche teilnehmen wollten, aufgefahren. In dem ersten derselben saß die Baronin mit der Zofe.
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