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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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als schwebe der Mann frei in der Luft und werde jeden Augenblick herabstürzen. Vor Bestürzung vergaß der Maschinist den Zug in Bewegung zu setzen, und ebenso hielt auch die Reihe der Wagen noch still.
    Die Baronin war in den ihrigen zurückgesunken und bedeckte das Angesicht mit dem Taschentuch. Sie hatte sich die schnelle Bewegung ihres Neffen nicht erklären können, war ihm mit den Augen gefolgt und wußte also, daß er es war, der in so furchtbarer Lage schwebte. Da ertönte neben ihr eine gebieterische Stimme, die sie nicht kannte.
    „Kutscher, fahr zu, was die Pferde laufen können und halte dich womöglich immer unter dem Ballon!“
    Sie blickte auf. Vor ihr saß der junge Mann, welcher ihr kürzlich als Gehilfe des Professors vorgestellt worden war. Während die Pferde in Karriere davonflogen, wandte er sich mit einem ruhigen Lächeln, welches ein Beweis seiner ungewöhnlichen Selbstbeherrschung war, an die Insassen des Wagens:
    „Verzeihung, Herr Baron, wenn ich aus Familienverhältnissen das Recht herleite, auch ohne vorherige Aufforderung den Platz für mich in Anspruch zu nehmen, welchen mein mutiger Bruder verlassen hat. Und Verzeihung, meine gnädige Tante, daß ich erst jetzt, in einem so kritischen und unpassenden Augenblicke, mich Ihnen in meiner wahren Eigenschaft vorstellen darf. Ich bin der Polizist Winter, der Bruder Emils.“
    „Mein Gott, ich bin zu verwirrt, als daß ich mich fassen und das Passende sagen könnte! Warum ist er mit in die Höhe gegangen?“
    „Ich weiß es nicht; aber ich vermute den Grund. Jedenfalls werden wir von ihm das Nähere erfahren. Er hat nicht aus Vermessenheit gehandelt und steht unter dem Schutz Gottes, der ihn uns wiedergeben wird. Wir wollen uns fassen und das übrige in einer ruhigeren Stunde besprechen.“
    Im ersten Augenblick wußte der Baron nicht, was er von seiner gegenwärtigen Lage denken solle. Es war ihm, als sei er nun verloren, da er den Gefürchteten neben sich sitzen sah; aber bei der unwillkürlichen Bewegung, welche er mit der Hand nach dem Herzen machte, fühlte er die beiden Revolver, welche er für alle Fälle heute in die Brusttasche seines Rockes gesteckt hatte, und diese Berührung gab ihm sofort die gewohnte Fassung wieder.
    Die drei da oben in der Luft waren verloren; das war sicher. Und hier unten gab es außer dem Juden, der aber nicht sehr zu fürchten war, nur diesen einen Menschen, der ihm Gefahr bringen konnte. Sollte nicht auch er unschädlich gemacht werden können? Säumen hatte sein Gewissen nie um Rat gefragt, wenn es eine Tat galt, die ihm von der Sorge für seine eigene Person geboten wurde, und so war er auch jetzt nicht zu Skrupeln geneigt. Der Tag war noch lang; man mußte abwarten, was er bringen werde.
    Indessen schwebte der Ballon ruhig weiter, ruhiger, als seine Insassen waren. Wanda hatte sich nach unten gewandt, um die Gegend aus der Vogelperspektive zu betrachten, und dabei den an dem Seil Hängenden zuerst bemerkt.
    „Um Gottes willen, Herr Professor, es hat sich jemand in dem Tau verwickelt und ist mit in die Höhe gezogen worden!“ rief sie erschrocken.
    Der Angeredete beugte sich über die Brüstung der Gondel hinaus, und auch Hagen schickte sich an, diese Bewegung zu machen, zog aber den Kopf sofort wieder zurück, weil er sich vom Schwindel erfaßt fühlte.
    „Der Mensch ist verloren!“ sagte der Luftschiffer nach einem beobachtenden Blick in die Tiefe. „Zwar scheint es, als ob er sich in die Höhe turnt; aber seine Kraft wird bald zu Ende gehen.“
    „Wir müssen daher helfen, müssen ihn retten, müssen das Seil einziehen.“
    „Das wird kaum statthaft sein, denn durch dieses Experiment müßte die Gondel sich auf die Seite neigen, und wir selbst kämen dabei in die größte Gefahr.“
    „Daran dürfen wir nicht denken. Vorwärts, zugegriffen.“
    Der Professor erfaßte ihren Arm. Seine Passagiere sollten den festen Erdboden nicht lebendig wieder berühren; ein dritter mußte ihm also unbequem sein. Es blieb sich ja ganz gleich, ob derselbe jetzt oder mit den beiden anderen den tödlichen Sturz machte.
    „Lassen Sie, Fräulein. Wir werden nichts weiter erreichen, als daß das Seil in schwingende Bewegung gerät und den Unglücklichen abschleudert. Warten wir ab, wie weit seine Kräfte reichen.“
    Sie mußte sich, wenigstens einigermaßen von diesem Grund überzeugt, fügen und lehnte sich vornüber, um die Anstrengungen des Mannes zu beobachten.
    Obgleich das wirbelnde Drehen des Taues

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