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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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genau, daß Winter aus freiem Antrieb das Seil ergriffen haben müsse; denn hätte ihn dasselbe unvermutet umschlungen und mit fortgerissen, so wäre es ihm jedenfalls nicht gelungen, sich loszumachen. Auch wäre ihm bei einer so unvorhergesehenen Lage die Besinnung geschwunden, und also die Sicherheit, mit der er sich emporbewegt hatte, eine Unmöglichkeit gewesen. Er hatte es also hier mit einem Gegner zu tun, welcher durch irgendeinen Umstand zu der gehabten Kühnheit veranlaßt worden war. Und bei der Ungeheuerlichkeit des Wagnisses mußte dieser Umstand ein bedeutender sein, sich vielleicht gar auf die Entdeckung des mit dem Baron verabredeten Plans beziehen.
    Während er unter diesen Gedanken eine Handvoll der feinen Sandkörner nach der anderen fallen ließ, riß Winter ein Blatt seines Notizbuchs in Stücke und ließ sie nacheinander fliegen, um an der Schnelligkeit, mit welcher sie entschwanden, diejenige des Steigens zu erkennen.
    „Wollen Sie nicht innehalten, Herr Professor? Ich glaube sicher, daß wir zu hoch kommen. Die Wolken liegen schon tief unter uns, und die Erde ist mit bloßem Auge gar nicht mehr zu erkennen. Von solcher Dimension dürfte unsere Strömung wohl kaum sein!“
    „Ja, wir sind zu hoch; gehen wir weiter nieder!“ rief Hagen, dem die Angst aus den Zügen zu lesen war.
    „Hier bin ich Herr“, sprach der Professor ruhig und fuhr in seiner Beschäftigung fort. „Ich verbiete mir jeden Einspruch, zu dem übrigens jemand, der das Passagiergeld nicht entrichtet und uns seine Rettung zu verdanken hat, am allerwenigsten berechtigt sein dürfte.“
    Winter schwieg und nahm den an seiner Uhrkette hängenden Kompaß zur Hand. Er bemerkte nach einiger Zeit, daß der Ballon eine vollständig andere Richtung eingeschlagen hatte und hielt deshalb auf jede Bewegung des Professors ein scharfes Auge. Dieser blickte durch das Perspektiv und griff dann von neuem nach dem Sand.
    „Sie werden Ihre Wette verlieren!“ meinte Hagen, und auf seiner Stirn standen helle Tropfen. „Der Zug wird in wenigen Minuten sein Ziel erreicht haben.“
    „Wir sind auch gleich da. Noch einige tausend Fuß, und dann sinken wir. Ich werde unterdessen zur Klappe steigen.“
    Er schwang sich auf den Rand der Gondel und kletterte in das Netzwerk hinauf. Der Ton seiner Stimme hatte den eigentümlich heiseren Klang gehabt, welchen die menschliche Sprache oft zeigt, wenn die Seele in ängstlicher Spannung sich befindet oder der Wille etwas bezweckt, was mit dem Rechtsgefühl nicht im Einklang steht.
    Das fiel Winter sofort auf. Dieses Emporklettern mußte einen bestimmten Grund haben; denn das Ventil war ja sehr bequem durch eine Schnur zu öffnen, welche bis in die Gondel herabreichte.
    „Sehen Sie sich vor, Herr Kommissar! Der Mann führt etwas im Schilde“, flüsterte er und blickte gespannt nach oben. Da griff der Professor nach einer Schlinge und zog an derselben, um sie zu öffnen. Dies schien jedoch einige Schwierigkeit zu haben, da bei der Passage durch die Wolken der Strick Feuchtigkeit angezogen hatte, infolgedessen aufgequollen war und die Schleife sich schwer öffnen ließ.
    Durch diesen Umstand erhielt Winter einige Augenblicke Zeit, dem Lauf des Stricks zu folgen und die Bemerkung zu machen, daß die Hälfte der Gondelhalter an ihm befestigt waren und nachgeben mußten, sobald er gelockert wurde. Sofort erkannte er, worauf es abgesehen war, riß mit beiden Armen Wanda und den Kommissar herüber auf die weniger bedrohte Seite und rief:
    „Haltet euch fest, sonst seid ihr verloren!“
    Instinktmäßig klammerten sie sich an, obgleich sie den Grund dieses angstvollen Zurufes nicht begriffen, und im nämlichen Augenblick bekam die Gondel einen Ruck, die Halter fielen nieder, und die drei Menschen hingen, den Boden unter den Füßen verlierend, frei in der Luft.
    „Einen Augenblick nur halte fest, Wanda!“ mahnte Winter, und die gräßlichste Angst sprach aus dem Ton seiner Stimme. Er schwang das eine Bein über den Gondelrand, und so auf demselben reitend, zog er das Mädchen herauf zu sich und sprach:
    „Sei nur jetzt stark, Wanda, und verliere das Bewußtsein nicht, sonst bist du verloren!“
    „Ich halte fest, Emil! Rette nur – Herrgott, wo ist der Kommissar?“
    Er war verschwunden. Im Augenblick der Gefahr hatte ihn die Besinnung verlassen oder war die Kraft seiner Arme zu schwach zum Festhalten gewesen, und so war er hinabgestürzt.
    Die beiden Zurückbleibenden hatten jetzt nicht Zeit, dieses

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