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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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blicken. Eine männliche Gestalt kam auf uns zugeschritten, und ich sah den Zipfel des um den Kopf geschlungenen Tuches sich bewegen. Es war Ellen.
    „Verzeiht, wenn ich störe“, klang ihre tiefe, jetzt etwas unsichere Stimme. „Ich dachte an Euren Swallow, welchem ich das Leben zu danken habe, und wollte das brave Tier gerne begrüßen.“
    „Hier steht es, Miß. Ich werde die Herzlichkeit dieser Begrüßung nicht durch meine Gegenwart beeinträchtigen. Good night!“
    Ich wandte mich zum Gehen, hatte aber kaum ein Dutzend Schritte getan, als ich ihren halblauten Ruf vernahm.
    „Sir!“
    Ich blieb stehen. Zögernden Fußes kam sie mir nach, und das eigentümliche Vibrieren ihrer Stimme verriet die Verlegenheit, welche sie nicht so schnell überwinden konnte.
    „Ich habe Euch beleidigt!“
    „Beleidigt?“ erwiderte ich kühl und ruhig; „Ihr irrt, Miß. Der Mann kann einer Dame gegenüber wohl Nachsicht, nie aber das Gefühl des Beleidigtseins empfinden.“
    Es dauerte eine Minute, ehe sie eine Antwort auf diese vielleicht unerwarteten Worte fand.
    „Dann verzeiht meinen Irrtum.“
    „Gern; ich bin an ihn gewöhnt.“
    „Eure Nachsicht werde ich wohl nicht wieder in Anspruch nehmen.“
    „Sie steht Euch trotzdem zu jeder Zeit zur Verfügung.“
    Schon wollte ich mich wieder abwenden, als sie mir mit einem schnellen Schritt nahe trat und die Hand auf den Arm legte.
    „Lassen wir Persönlichkeiten jetzt unberührt. Ihr habt mit der größten Gefahr für Euer eigenes Leben mir dasjenige meines Vaters an einem Abende zweimal erhalten; ich muß Euch danken, und wenn Ihr noch so böse und abstoßende Worte sprecht.“
    Warm und weich legten sich ihre Finger um meine Hand, und der Hauch ihres Atems berührte mein Gesicht. Ihre großen, offenen Augen blickten voll und forschend in die meinigen; je länger dieser magische Blick auf mir ruhte, desto näher zog er mich zu ihr, und ich mußte mich bezwingen, um nicht meine Arme um sie zu legen und denselben Fehler zu begehen, der sie in New Venango von mir gescheucht hatte.
    „Jeder ‚Westmann‘ ist zu dem bereit, was ich getan habe, und es geschehen noch ganz andere Dinge als das, was Ihr da erwähnt. Was der eine für den anderen tut, ist ihm von noch anderen vielleicht schon zehnfach geschehen und kaum der Rede wert. Ihr dürft nicht nach dem Maßstab urteilen, welchen Eure Kindesliebe Euch in die Hand gibt.“
    „Erst war ich es, jetzt aber seid Ihr's, der ungerecht gegen Euch selbst ist. Wollt Ihr's auch gegen mich sein?“
    „Nein!“ Nur dies eine Wort vermochte ich auszusprechen, so voll war mein Inneres von der Wirkung dieser Stimme, deren Modulation mich mit süßer Wonne durchbebte. Wie scharf und abweisend hatte sie da droben beim Felsenhäuschen geklungen, und mit welchem fesselnden Wohllaut sie sich jetzt so lind und beruhigend auf die Bitterkeit legte, welche sie mir vorher im Herzen erweckt hatte!
    „Dann darf ich wohl eine Bitte sagen?“
    „Sprecht, Miß!“
    „Zürnt mir, Sir, seid bös auf mich, so sehr Ihr es nur immer könnt, wenn ich nicht recht tue, aber sprecht nicht wieder von Nachsicht! Wollt Ihr?“
    „Ich will!“
    „Danke. Und nun kehrt mit zum Feuer zurück, um den anderen gute Nacht zu sagen. Ich werde Euch Euren Schlafraum anweisen, und wir müssen bald die Ruhe suchen, da es morgen einen zeitigen Aufbruch geben wird.“
    „Aus welchem Grund?“
    „Ich habe am Bee-Fork meine Fallen gestellt, und Ihr sollt mit mir gehen, nach dem Fang zu sehen.“
    Einige Minuten später standen wir vor einer der erwähnten Felltüren, welche sie zurückschlug, um mich in einen dunklen Raum zu führen, der indes bald durch eine primitive und mit Hilfe des ‚Punks‘ (Präriefeuerzeug) entzündete Hirschtalgkerze erleuchtet wurde.
    „Hier ist Euer bed-room (Schlafzimmer), Sir. Die Companymänner pflegen sich in diese Räume zurückzuziehen, wenn sie unter freiem Himmel einen Rheumatismus befürchten.“
    „Und Ihr meint, daß dieser schlimme Gesell auch mir nicht unbekannt sei?“
    „Will Euch das Gegenteil wünschen; aber das Tal ist feucht, da die rundum liegenden Berge dem Wind den Zutritt verwehren, und Vorsicht ist zu allen Dingen nütze, wie man drüben in der Heimat sagt. Schlaft wohl!“
    Sie bot mir die Hand und schritt dann mit freundlichem Kopfnicken hinaus.
    Als ich allein war, blickte ich mich in der kleinen Klause um. Sie war nicht eine natürliche Höhle, sondern durch menschliche Hand in das Gestein gehauen worden. Den

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