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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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herum, und – da lag sie, die Mutter, mitten durch die Brust geschossen, die Arme krampfhaft um das kleine Schwesterchen geschlungen, dessen Köpfchen von einem tiefen Messerhieb klaffte. Der Anblick raubte mir die Besinnung, und ich fiel ohnmächtig über sie hin.
    Wie lange ich dagelegen, ich wußte es nicht. Es wurde Tag und Abend und wieder Tag; da hörte ich leise Schritte in der Nähe. Ich richtete mich empor und – o Wonne – ich sah den Vater und Winnetou, beide in zerfetzten Kleidern und mit Wunden bedeckt. Sie waren der Übermacht erlegen und gefesselt fortgeschleppt worden, hatten sich aber loszumachen gewußt und waren entflohen.“
    Tief Atem holend, hielt sie inne und richtete ihr Auge mit starrem Ausdrucke in die Weite. Dann sich rasch zu mir wendend, fragte sie:
    „Ihr habt noch Eure Mutter, Sir?“
    „Ja.“
    „Was würdet Ihr tun, wenn jemand sie Euch tötete?“
    „Ich würde den Arm des Gesetzes walten lassen.“
    „Gut. Und wenn derselbe zu schwach oder zu kurz ist, wie hier im Westen, so leiht man dem Gesetz den eigenen Arm.“
    „Es ist ein Unterschied zwischen Strafe und Rache, Miß. Die erstere ist eine notwendige Folge der Sünde und eng verbunden mit dem Begriff göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit; die zweite aber ist häßlich und betrügt den Menschen um die hohen Vorzüge, welche ihm vor dem Tier verliehen sind.“
    „Ihr könnt nur deshalb so sprechen, weil Euch kein Indianerblut durch die kalten Adern rinnt. Wenn der Mensch aber sich freiwillig dieser Vorzüge entäußert und zur lebensgefährlichen Bestie wird, so darf er auch nur als eine solche behandelt und muß verfolgt werden, bis ihn die tötende Kugel erreicht hat. Als wir an jenem Tag die beiden Toten in die Erde gescharrt und so den Angriffen der Aasgeier entzogen hatten, da gab es in den Herzen von uns dreien kein anderes Gefühl als das des glühendsten Hasses gegen die Mörder unseres Glücks, und es war unser eigenes Gelübde, welches Winnetou aussprach, als er mit tiefgrollender Stimme schwor:
    ‚Der Häuptling der Apachen hat in der Erde gewühlt und den Pfeil der Rache gefunden. Seine Hand ist geballt, sein Fuß ist leicht und sein Tomahawk hat die Schärfe des Blitzes. Er wird suchen und finden Tim Finnetey, den Mörder der Rose vom Quicourt und seinen Skalp nehmen für das Leben Ribannas, der Tochter der Assineboins.‘“
    „War Finnetey der Mörder, Miß?“
    „Er war's. In den ersten Augenblicken des Kampfes, als es schien, daß die überraschten Schwarzfüße unterliegen würden, schoß er sie nieder. Winnetou sah es, stürzte sich auf ihn, entriß ihm die Waffe und würde ihn getötet haben, wenn er nicht von anderen gepackt und nach verzweifelter Gegenwehr gefangengenommen worden wäre. Zur Verspottung ließ man ihm die ungeladene Pistole; sie kam später als sein Geschenk in meine Hand und hat mich nie verlassen, mochte ich meinen Fuß auf die Trottoirs der Städte oder den Grasboden der Prärie setzen.“
    „Ich muß Euch sagen, daß –“
    Sie schnitt mir die Rede durch eine hastige Handbewegung ab.
    „Was Ihr mir sagen wollt, weiß ich und habe es mir tausendmal schon selbst gesagt. Aber habt Ihr noch nie die Sage vom ‚flats ghost‘ vernommen, welcher in wilden Stürmen über die Ebene braust und alles vernichtet, was ihm zu widerstehen wagt? Es liegt ein tiefer Sinn in ihr, welcher uns sagen will, daß der ungezügelte Wille sich wie ein brandendes Meer über die Ebene ergießen müsse, bevor die Ordnung zivilisierter Staaten hier festen Fuß fassen kann. Auch durch meine Adern pulsiert eine Woge jenes Meeres, und ich muß ihrem Drang folgen, obgleich ich weiß, daß ich in der Flut versinken werde.“
    Es waren ahnungsvolle Worte, welche sie hiermit aussprach, und es folgte ihnen eine tiefe, gedankenreiche Stille, welche ich endlich mit einer leisen Vorstellung zu unterbrechen wagte. Sie hörte mich ruhig an und schüttelte dann den Kopf. Mit beredtem Mund gab sie eine Schilderung des Eindruckes, welchen jene Schreckensnacht auf ihr Gemüt hervorgebracht hatte, eine Beschreibung ihres späteren Lebens, welches sie zwischen den Extremen der Wildnis und Gesittung hin- und hergeworfen hatte, und ich lag vor ihr, dem Klang ihrer tiefen, sonoren Stimme lauschend und jedes ihrer Worte trinkend, welche, ohne mich zu überzeugen, doch offenen Eingang in mein Inneres fanden.
    Da ertönte von unten herauf ein scharfer Pfiff. Sie unterbrach sich und meinte:
    „Vater ruft die Leute

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