40 - Im fernen Westen
dazu Eure Arbeiter, welche ja gar nicht wie Memmen aussehen, so bleibt für Euch nichts übrig als das bloße Zusehen oder Abwarten.“
„Ich bin Euch dankbar, Sir, sehr dankbar!“ sagte er im Ton der Erleichterung. „Ich ersuche Euch, den Oberbefehl über meine Leute zu übernehmen. Sie werden Euch gern gehorchen.“
Das war ja für mich sehr ehrenvoll! Ich, der Unbekannte, sogleich General!
„Es handelt sich hier wohl weniger um einen Oberbefehl als um ein energisches Zusammenwirken. Wir werden noch darüber sprechen; jetzt aber bitte ich Sie, mich den Gliedern Ihrer Familie vorzustellen, obgleich ich leider keinen Frack anlegen kann.“
Ich fand in Mrs. Wittler und Mrs. Helming zwei Damen, welche mehr Energie zu besitzen schienen als der Ölprinz, von dem es mich übrigens wunderte, daß er es bei seinem Abscheu vor einem Kampf gewagt hatte, sich hier am Shayansee niederzulassen. Die Kinder, zwei Knaben und ein Mädchen, freuten sich königlich, einmal einen Fremden zu sehen, und ich hatte ihnen hundert Fragen zu beantworten, entzog mich aber dann ihrer Wißbegierde, um Winnetou aufzusuchen und zugleich Wittler Gelegenheit zu geben, den Damen mitzuteilen, was er von mir erfahren hatte.
Ich hatte mich doch weit über eine Stunde mit der Familie beschäftigt, und der Apache hatte Zeit gefunden, um den See zu galoppieren. Ich sah ihn eben über ein hohes Felsenstück, welches im Weg lag, voltigieren; er hielt es gar nicht für der Mühe wert, es zu umreiten. Als wir zusammentrafen, meinte er:
„Alle müssen sterben! Man besetzt den Ausgang, sobald die diebischen Bleichgesichter hereingekommen sind. Sie können in der Nacht nicht an den Felsen empor und werden von unseren Kugeln gefressen werden. Howgh!“
Dieses letztere Wort pflegte er dann auszusprechen, wenn er eine Meinung bekräftigen wollte. Ich stimmte ganz seiner Ansicht bei, wollte aber nichts verabsäumen und machte also dieselbe Tour um den See wie er. Ich wurde dadurch nur in der Ansicht bestärkt, daß die Buschklepper verloren seien, wenn sie den Angriff wagten.
Jetzt begab sich auch Winnetou mit in das Wohnhaus. Man hatte uns ein Mahl bereitet, wobei uns aber nur die Kinder Gesellschaft leisteten. Wittler und die Damen entschuldigten sich damit, daß sie zu beschäftigt seien. Sie schafften alles Wertvolle in den Keller. Jetzt lächelte ich über den Eifer, später aber sah ich ein, daß er von großem Nutzen gewesen war. Während des Mahles saß Winnetou so, daß er durch das Fenster blicken konnte. Er sprang plötzlich auf.
„Uff!“ rief er erstaunt und deutete mit der Hand hinaus.
Ich drehte mich um, warf einen Blick hinaus und erkannte – den roten Olbers, welcher vom Abfluß des Sees her langsam auf das Haus zu geritten kam. Er schien sich jede Einzelheit des Terrains genau betrachten zu wollen. Ich eilte zur Tür, riß sie auf und rief nach Wittler. Er kam herbeigeeilt; er hatte meiner Stimme angehört, daß es etwas Ungewöhnliches gebe.
„Der rote Olbers kommt!“ sagte ich.
„Mein Gott!“ rief er, vor Schreck zurückfahrend.
„Keine Angst! Er kommt nur rekognoszieren. Wir könnten ihn fortlassen um ihn dann mit den Seinen desto sicherer zu haben; aber wir halten ihn fest; die anderen entgehen uns nicht. Schnell, schnell, empfangt ihn im Kontor, tut, als ob Ihr nichts ahntet, und laßt ihn ruhig sprechen. Ich bin neugierig, womit er seine Anwesenheit begründen wird. Ich warte mit Winnetou, bis er wieder heraustritt, und nehme ihn fest.“
„Aber, Sir, dieser Mörder – – –“
„Schnell!“ unterbrach ich ihn. „Er steigt bereits vom Pferd!“
Ich mußte den Mann förmlich fortschieben, so voller Angst war er. Wir hörten Olbers in den Flur treten und nach Mr. Wittler fragen; dieser ging mit ihm in das Kontor. Nach einigen Minuten postierten wir uns leise vor die Tür desselben. Ich malte mir bereits aus, welch ein Gesicht er machen werde, wenn er heraustreten und mich da erblicken werde. Ich horchte. Ich vernahm einige laute Worte und einen darauf folgenden wilden Fluch. Es schlug etwas gegen die Tür. Ich ahnte, daß dies nichts Gutes bedeute, und öffnete. Da stand Wittler, schreckensbleich und mit offenem Mund. Olbers war nicht zu sehen.
„Wo ist er?“ fragte ich dringend.
Der Mann deutete wortlos gegen das Fenster.
„Fort?“
„Ja“, antwortete er. „Ich hatte viel Mut; ich sagte ihm, daß er der Mörder meines Bruders sei und daß ich Gäste habe, die ihn fangen wollen. Da warf er mich
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