40 - Im fernen Westen
gegen die Tür und sprang durch das Fenster.“
Ich hatte keine Zeit zu antworten und meinem Ärger Luft zu machen. Dieser feige Mann hatte doch nur vor lauter Angst Olbers einschüchtern wollen. Draußen erscholl der Hufschlag eines Pferdes. Ich sprang vor das Haus, Winnetou mit. Olbers galoppierte ventre-à-terre dem Ausgang des Sees zu. Selbst wenn ich den Arbeitern hätte zurufen wollen, ihn festzuhalten, wäre es vergeblich gewesen. Winnetou überschaute die Situation mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit.
„Ich verfolge ihn“, sagte er. „Mein Bruder Scharlih mag diesem Weib sagen, was es zu tun hat, und mir dann nacheilen; er wird meine Fährte leicht finden.“
Sein Pferd weidete in ziemlicher Entfernung, kam aber auf seinen Pfiff sogleich herbei. Er sprang auf und jagte davon. Als vorsichtiger Mann hatte er, als wir vom Tisch aufstanden, seine Büchse ergriffen und brauchte also gar nicht erst in das Haus zurückzukehren. Mit dem Worte ‚Weib‘ hatte er Wittler gemeint.
„Ihr glaubt nicht, was Ihr für einen unverzeihlichen Fehler begangen habt“, sagte ich zu diesem. „Nun werden uns diese Spitzbuben vielleicht gar entgehen.“
„Immerzu!“ antwortete er. „Sie werden nun jedenfalls nicht mehr daran denken, uns zu überfallen.“
„Das weiß man nicht. Ich folge jetzt dem Apachen. Stellt Posten aus, und laßt sie die Augen offen halten. Wir beabsichtigten erst, die Bande in das Tal zu lassen und dann unschädlich zu machen, nun wir aber fort sind, werdet Ihr klug tun, jeden niederzuschießen, der den Eingang erzwingen will. Ob wir wiederkommen, weiß ich nicht, zeitig, spät, heut, morgen oder auch gar nicht. Fare well, Sir!“
Während dieser Rede hatte ich meine Gewehre ergriffen, mein Pferd herbeigepfiffen, stieg auf und folgte Winnetou. Die Arbeiter blickten mich verwundert an, war ich doch nun der dritte Reiter, der in rasender Eile das Tal verließ. Seit der Flucht Olbers' und jetzt waren höchstens zwei Minuten vergangen. Ich erreichte die Durchbruchspalte, flog hindurch und am Wasser hinab. Ich sah deutlich die Stapfen von Winnetous Pferd. Dieser hatte, wie ich jetzt bemerkte, zum Überfluß den Tomahawk ergriffen und längs des Verfolgungsweges jeden erreichbaren Ast abgehauen. So konnte ich ihm schneller folgen als er dem Fliehenden.
Es ging über Stock und Stein, zwischen Büschen und Felsen hindurch. Mein Mustang griff aus wie selten. Nach kurzer Zeit hatte ich Winnetou erreicht. Er saß nicht auf seinem Pferd, sondern er hing an demselben, das eine Bein über dem Sattel, das andere unter dem Bauch und den Arm im Halsriemen des Tiers. Sein Ohr horchte auf den Hufschlag vor uns, und sein Auge war scharf auf den Boden gerichtet. Auch ich ließ die Bügel fahren, schob den Arm in den Riemen und nahm also ganz dieselbe Stellung ein wie Winnetou, nur er auf der rechten und ich auf der linken Seite unserer Pferde. Auf diese Weise konnte uns keine Spur entgehen.
So jagten wir fort, bis mir plötzlich auf meiner Seite ein Abdruck im moosigen Boden auffiel. Ich riß mein Pferd zur Seite.
„Ni sisi – halt an!“ rief ich, indem ich mein Pferd zum Stehen brachte.
Im Nu war auch Winnetou von dem seinigen herab und stand an meiner Seite.
„Ti teshi ni utsage – was siehst du hier?“ fragte er.
Ich warf einen forschenden Blick zwischen die links von uns stehenden Sträucher und war mir sofort im klaren.
„Sieh hier die tiefen Eindrücke zweier Absätze!“ sagte ich. „Er ist mitten im Galopp vom Pferd gesprungen. Er hat das Tier aufgegeben, um sich zu retten. Er hat geglaubt, daß wir diesem folgen werden und nicht ihm. Hier ist er in das Gesträuch hinein. Er wird sich nach dem Bach wenden, um im Wasser seine Spur unsichtbar zu machen und dann, sobald er sich sicher fühlt, das Ufer wieder zu betreten.“
Der Apache bückte sich nieder, untersuchte die Spur, sagte sein halblautes, zustimmendes „Howgh!“, bestieg dann sein Pferd wieder und ritt nach links hinüber und grad auf das Wasser zu. Ich folgte ihm, und wir ritten in die dunkle Flut hinein, welche uns noch nicht bis an die Steigbügel ging.
„Shi ti ni, akayia – ich hier, du dort!“ sagte Winnetou.
Er wollte das rechte und ich sollte das linke Ufer im Auge behalten. So wateten wir den Bach hinab. Unserem Auge durfte kein Zweig, kein Grashalm, kein Sandkorn entgehen. Wie sich nach ungefähr zehn Minuten zeigte, ritt ich auf der Seite, auf welcher unsere Aufmerksamkeit belohnt wurde: ungefähr zwei
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