40 - Invasion von Scorpio
sündhaft. Sie dachten ausschließlich an ihren Bauch, ans Bett und ihr Geld. »Wir müssen uns erheben«, ereiferte sie sich. »Wir müssen uns erheben und das zurückerobern, was uns einst gehört hat!«
Ein paar vereinzelte zustimmende Rufe waren zu hören. Ein paar strengere ablehnende Stimmen wurden kurz laut. Die meisten aus der Menge blieben stumm oder sprachen halblaut miteinander.
So ist das also, dachte ich. Das Volk hat sich nicht aus seiner Lethargie befreit und ist hierhergelaufen, um dieser Frau zuzuhören. O nein. Es war hier, um zu erleben, wie sie zurechtgestutzt wurde. Wenn es nicht ein Zauberer aus Loh tat, würden sich zweifellos bald Mitglieder der örtlichen Polizei oder der Wache auf sie stürzen. Die Menge erwartete eine vergnügliche Unterhaltung.
Sie ekelten mich an.
Nun ließ die Sprecherin ihrer aufgestauten Wut und dem Haß über das Urteil der Geschichte freien Lauf. Sie machte die Zauberer aus Loh für den Niedergang des walfargischen Reiches verantwortlich, nicht zu vergessen das Unvermögen der walfargischen Soldaten. »Wir brauchen Schiffe, die durch die dünne Luft fliegen!« schrie sie. »Wir müssen Riesenvögel züchten, die uns auf ihren Flügeln in die Schlacht tragen, damit der Sieg unser ist!« Dies erzeugte Unmutsbezeugungen in der Menge. »Wir müssen diese Dinge haben! Wir werden sie bekommen! Ich, Mu-lu-Manting, schwöre es, so wahr ich hier stehe! Ich schwöre es bei den Sieben Arkaden!«
Das war ein heißes Eisen. Die Sieben Arkaden – was sie auch immer darstellten – wurden stets von den Zauberern aus Loh angerufen, wenn sie sich für etwas leidenschaftlich einsetzten oder zornig wurden. Vielleicht war das Mädchen so etwas wie eine Hexe aus Loh, möglicherweise hatte es die Abschlußprüfung nicht bestanden, oder man hatte ihr das Amt entzogen. Das konnte ihren Angriff auf die lohischen Magier erklären.
Unruhe in der Menge und das unverwechselbare Stampfen eisenbewehrter Schuhe kündeten das innig erwartete Schauspiel an. Es gab für mich keine Möglichkeit einzugreifen, um der Frau zu helfen. Ich glaube, ich hätte es getan, wenn ich Gelegenheit dazu gehabt hätte. Die Masse wich vor den Wachen zurück, die klirrend anrückten. Als sie die Statue von Khibil mit erhobenem Bogen erreicht hatten, war Mu-lu-Manting schon lange von dem Podest verschwunden.
»Diese unfähigen Narren!« Eine zänkische kleine Frau fauchte den unglücklich aussehenden Mann neben ihr an, als sei er dafür verantwortlich. »Diese abscheuliche Ketzerin, sie ist ihnen entkommen. Wenn ich sie in die Finger kriegen würde ...«
»Ja?« fragte eine tiefe, volle Stimme neben mir. »Was genau tätest du dann, meine Dame?«
Ich musterte den Sprecher. Er war in einen leichten seidenen Umhang eingehüllt, und sein flacher breitkrempiger Hut bedeckte Stirn und Ohren. Die Augen waren hell und blickten scharf. Bevor die zänkische Frau etwas sagen konnte, äußerte ihr Gatte piepsend: »Das geht Euch nichts an, Walfger ...« *
Die Frau brachte ihn mit einem Schwall von Bosheiten zum Schweigen. Dann fauchte sie: »Ich würde sie lehren, besser aufzupassen, was sie sagt!«
Die schlanke Gestalt eines Mädchens, das ein leichtes Gewand trug, drängte sich nach vorn und ergriff den Arm des Mannes mit der tiefen, einschmeichelnden Stimme. Wie jedermann sehen konnte, wollte er gerade, mit einer Predigt anfangen. Das Mädchen sprach hastig: »Es hat keinen Zweck, San. Komm jetzt, bitte komm jetzt hier weg!«
Er drehte den Kopf, um sie anzusehen, und ich konnte mehr von seinem Gesicht erkennen. Es trug einen verzerrten, asketischen Ausdruck, und um Mund und Augen hatten sich tiefe Linien des Leides eingegraben. »Ja, Xinthe, ich glaube, du hast recht. Aber habe ich dir nicht immer wieder verboten, mich San zu nennen?«
Für die zänkische Frau war dies Wasser auf die Mühlen. Sie rief sofort aus: »Du gehörst zu den schrecklichen Anhängern der Hexe Mu-lu-Manting. Ruft die Wache! Zu Hilfe! Hilfe!«
Ich bewegte mich schnell genug, um ohne Zeitverlust an der richtigen Stelle zu sein. Ich schob mich hinter die unangenehme kleine Dame und legte die Finger genau auf die richtige Stelle in ihrem Nacken. Als sie bewußtlos zusammenbrach, legte ich den anderen Arm um ihre Taille, die sich eher wabbelig als angenehm anfühlte. Ich stieß sie ihrem Ehemann entgegen – falls es sich bei ihm tatsächlich um diesen unglücklichen Menschen handelte.
»Die Dame ist ohnmächtig geworden«, sagte ich. Ich
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