40 - Invasion von Scorpio
belästigt.
Der Hof war von Gebäuden mit kleinen schäbigen Fenstern umgeben. Direkt vor uns führte ein gewölbter Durchgang in den Innenhof. Rechts lagen die Ställe, in dem das Heu lag. Irgendwie haftete dem Hof etwas Schäbiges und Armseliges an.
Wanlicheng führte uns durch den gewölbten Durchgang in den Hof. Da ich die farbige Pracht von Gärten, munteren Springbrunnen und Statuen erwartet hatte, wurde ich ungemein enttäuscht. Der Innenhof war lediglich ein größeres Abbild des äußeren Hofs. Allerdings waren die Fenster etwas größer. Wanlicheng wartete, bis Xinthe eine der vielen schmalen Türen aufgeschlossen hatte, die es hier überall gab. Wir traten ein und stiegen eine Schwarzholztreppe hinauf. Da wir das letzte Licht der Sonnen so plötzlich verlassen hatten, wirkte die hier herrschende Finsternis noch dunkler. Oben empfing uns ein spartanisch ausgestatteter Raum, der wie ein schlichtes Wohnzimmer möbliert war. Ich sah kein einziges Kissen. Die Stühle aus gebogenem Holz sahen ziemlich hart und nicht gerade einladend aus.
»Ich bitte dich, fühl dich wie zu Hause, Drajak. Xinthe, meine Liebe, wärst du so nett?«
»Roten, Weißen, Rose oder den üblichen?«
»Ich denke, ich nehme das übliche. Drajak, welchen magst du?«
»Da mache ich keine Unterschiede, San Ornol, aber Roter wäre schön.«
»Nenn mich Ornol, bitte! Ich halte das Wort San für eine vulgäre Form der Prahlerei, genauso wie Prinz, Kov und dergleichen. Ich gebe zu, daß diese Namen manchmal ihren Nutzen haben – am richtigen Ort und zur richtigen Zeit. Aber Walfarg hat zuviel durch seine Sans und Königinnen der Schmerzen gelitten.«
Ich konnte seinen Standpunkt verstehen. Das früher einmal große und mächtige Reich von Loh, das von den berühmten Königinnen der Schmerzen unbarmherzig regiert worden war, existierte nicht mehr. Es war weggeblasen wie Rauch im Wind. Wenn das Volk, wie das laute Mädchen Mu-lu-Manting behauptet hatte, die Zauberer aus Loh und ihre eigenen Herrscher dafür verantwortlich machte, konnte es nicht viel von Sans und Königinnen halten.
Xinthe brachte den Wein in tönernen Bechern; da ich ein saures und wie Essig schmeckendes Gebräu erwartet hatte, wurde ich von dem Geschmack des lieblichen und erfrischenden Rotweines angenehm überrascht. Wanlicheng beobachtete meine Reaktion. Er lächelte, und die Strenge seines Gesichtes verwandelte sich erstaunlicherweise in ein anziehendes Strahlen. »Ja, ich glaube, daß Wein und Blut miteinander verwandt sind, und darum ist eine gute Qualität von wesentlicher Bedeutung.«
»Ein tadelloses Prinzip«, bemerkte ich und trank.
Xinthe verschwand; ich nahm an, sie wollte das Essen vorbereiten.
Die Umgangsformen waren hier wahrscheinlich ähnlich wie anderswo auf Kregen. Mit den wenigen konversationellen Fähigkeiten, über die ich verfügte, hatte ich schnell herausgefunden, daß Xinthe Wanlicheng als Schülerin, Dienerin und Köchin diente und daß – vielen Dank, Walfger – man gern beim Abwasch behilflich sein durfte.
Die Mahlzeit war einfach, gut und vielleicht eine Spur zu knapp bemessen für meinen Geschmack; doch einem alten Seemann wie mir machte es nichts aus, den Gürtel ein Loch enger zu schnallen.
Als wir aufgegessen und das gereinigte Geschirr in einem hölzernen Regal verstaut hatten, sagte Wanlicheng: »Und jetzt, Xinthe, die Vorbereitungen für den zehnten Winkel.«
»Ja, Meister ... Welchen Pfad meinst du?«
»Unbedachtheit!« Seine dünnen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, als er sprach. »Das weißt du sehr gut, Tikshvu.«
Es versetzte mir einen Stich, als er spaßhaft das Wort Tikshvu verwendete, das ich früher einmal als ›kleines Fräulein‹ übersetzt habe. Gewöhnlich dient es dazu, ein junges Mädchen zu bedrohen und einzuschüchtern, das sich widerspenstig benommen hat. Es schien, als hätten diese Leute ihre eigenen Regeln.
Sie breitete die Hände im Schoß aus und nickte. »Der Pfad des Ib.«
Es bedeutet Pfad des Geistes oder der Seele. Wanlicheng schürzte die Lippen. »Beim Pfad des Ib kommt dem zehnten Winkel eine besondere Bedeutung zu. Er ähnelt der Wichtigkeit des siebenten Winkels beim Pfad der Welt.«
»Beim Pfad des Fleisches ...«, begann Xinthe.
»Zwei Pfade sind im Augenblick genug«, herrschte er sie an.
»Ja, Meister.«
»Konzentrier dich jetzt auf den neunten Winkel.« Während er dies sagte, beugte er sich vor und legte ihr beide Daumen auf die geschlossenen Augenlider. Die Schatten im
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