40 - Invasion von Scorpio
Zimmer wurden länger, als die Sonnen untergingen. Es gab eine billige Mineralöl-Lampe, doch die wurde nicht angezündet, als Xinthe sich auf ihre Übungen konzentrierte.
Ich saß ganz still. Wanlicheng und Xinthe hatten das rote Haar echter Loher. Er trat zurück und setzte sich, ohne ein Geräusch zu verursachen, auf seinen Stuhl. Das Schweigen wurde bedrückend. Ich trank nicht von dem guten Rotwein. Ich fragte mich, was wohl in Xinthes hübschem Kopf vorging. Was ihren Lehrer anging, so blieb sein Blick fest auf ihr Gesicht gerichtet.
Schließlich bewegten sich ihre Lippen, und sie sagte flüsternd: »Der Winkel ist wahrhaftig. Ich halte ihn. Fest.«
»Gut. Verankere ihn und kehr dann zurück«, befahl Wanlicheng.
Als Xinthe endlich wieder die Augen öffnete, war das Lächeln, mit dem sie ihren Lehrer bedachte, ein hervorbrechender Sonnenstrahl der Schönheit. »Ja«, sagte sie. »O ja!«
Sein strenges Gesicht verriet Vergnügen. Was er in letzter Zeit auch getan haben mochte, hier war ein Mann, der die vornehmen Dinge des Lebens zu schätzen wußte. Mit seiner wohlklingenden Stimme fing er eine allgemeine Unterhaltung an. Wie die meisten Leute, die eine neue Bekanntschaft machen, wollte er alles über mich wissen. Denn, wie er bemerkte: »Man kann sehen, daß du nicht aus Loh kommst.«
Xinthe blieb sitzen, und ich nahm an, daß sie sich von dem Ereignis erholte, das gerade in ihrem Kopf stattgefunden hatte.
Ich gab die gewöhnlichen Lügen über mich zum besten und wagte dann, eine Frage über die Szene zu stellen, der ich eben beigewohnt hatte.
»So etwas wie einen wahren Weg gibt es nicht. Man muß seinen Weg so gut wie möglich finden und dazu die Fähigkeiten einsetzen, über die man verfügt. Dies hat manchmal zur Folge, daß man vielleicht einen bestimmten Gott ablehnen muß oder sich einem anderen verschreibt. Bis jetzt ist es noch niemandem gelungen, mich davon zu überzeugen, daß es nur einen Wahren Gott gibt – ebensowenig wie nur einen Wahren Weg.« Ich wollte ihm zwar in seiner Ansicht über die Götter nicht widersprechen, aber ich muß zugeben, ich hielt dies für einen ernsten Fehler in seiner Theorie, wie immer sie aussah.
Er fuhr fort und erklärte, der Glaube an die Magie und die Götter habe ihn so oft im Stich gelassen, daß er nach einem besseren Weg Ausschau halte. Er hatte glücklicherweise eine weise Frau kennengelernt – er nannte sie Lisa die Ehrliche, auch wenn dies nicht ihr richtiger Name war –, die ihm die Augen für eine alternative Magie geöffnet hatte.
»Wir nennen unsere Bewegung Alternative Magie, da sie auf eine sehr reale Weise wirkt. Aber sie ist viel mehr als eine bloße Alternative zur Magie und den Göttern. Wir trachten danach, das gleiche Ergebnis wie die Zauberer, also Magie, und die Götter, also Wunder, zu erzielen, indem wir unsere eigene menschliche Kraft einsetzen. Es mag gottlos klingen, vielleicht sogar ketzerisch. Aber ich versichere dir, Drajak, jeder Mann und jede Frau haben im eigenen Kopf die Kraft dazu. Über die Pfade nähern wir uns unserem Ziel. Wir können die Kraft des menschlichen Geistes entfesseln, wir brauchen dazu keine Zauberer. Was die Götter angeht, so haben sie einen anderen Nutzen.«
»Gibt es viele von euch?«
»Nicht so viele, wie wir gern wären. Trotzdem gibt es eine stattliche Anzahl von Mitgliedern, die hier und da verstreut leben.«
»Werdet ihr nicht verfolgt?«
»Nein, warum sollten wir? Wir verkünden unseren Glauben nicht von Rednerpulten auf dem größten Kyro der Stadt.«
Xinthe warf mir einen scharfen Blick zu. Ich schüttelte den Kopf.
»Das ist alles ganz neu für mich, Dame Xinthe. Ich bin kein Spion.«
Nun, natürlich war es mir nicht völlig neu. Es gibt zwei wohlbekannte Wege, die zu Gott führen: Ablehnung eines Abbildes oder Bejahung eines Abbildes. Ich hatte auch mit kregischen Philosophen und Mystikern gesprochen, die die drei Pfade anerkannten, die Wanlicheng erwähnt hatte. Sie hatten noch den Pfad der Eingebung hinzugezählt. Was dieser Mystiker hier versuchte, war neu. Wenn er Magie und Wunder ohne Hokuspokus zustande brachte, direkt aus dem Kopf heraus, war er tatsächlich ein bemerkenswerter Bursche. Und Xinthe und die Mystikerin, die er als Lisa die Ehrliche bezeichnete, würden dem Verfahren eine besondere weibliche Note verleihen. Wenn sie es schafften, alle Winkel des Pfades zu erlangen, wollte ich als erster Interesse anmelden.
Sie nannten sich selbst Pilger.
Manchmal wurden sie
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