40 Stunden
wie Shannon zu Marc und Alexander in den Verhörraum ging, und er wusste, dass sie all ihre psychologischen Fertigkeiten anwenden würde, um etwas aus dem Jungen herauszuholen.
» Komm.« Tromsdorff packte Faris am Ellenbogen und führte ihn in den War Room zurück, wo er ihn auf einen Stuhl bugsierte. In Faris’ Kopf kreiste nur noch ein einziger furchtbarer Gedanke:
Lilly mit einem dieser Leuchtstäbe! Und wo Lilly war, da war auch Laura nicht weit. Vor seinem geistigen Auge sah er eine Explosion, er hörte eine Kinderstimme weinen, und diesmal war es nicht der Junge aus dem Klersch-Museum, sondern es war Lilly. Das Kind, das eigentlich seines hätte sein sollen. Lauras Kind!
Ihm wurde bewusst, dass er sein Smartphone noch immer in der Hand hielt, und mit fliegenden Fingern wählte er Lauras Nummer. Diesmal würde sie hoffentlich rangehen!
Es klingelte dreimal, dann meldete sie sich tatsächlich. » Zöller?« Sie schien im Auto zu sein, er konnte Motorengeräusche hören.
» Laura!«, rief er. » Gut, dass du rangehst! Ich…«
» Faris.« Ungeduldig unterbrach sie ihn. » Ich möchte, dass du mich in Ruhe lässt!«
» Nein, Laura, hör mir zu, es ist wirklich wichtig. Du…«
Sie legte einfach auf. Fassungslos starrte er sein Telefon an. Dann wählte er erneut, doch diesmal drückte sie ihn weg.
» Verdammte Scheiße!«, fluchte er.
» Faris?« Wie durch Watte klang die Stimme durch sein Entsetzen hindurch. Etwas legte sich schwer auf seine Schulter. Er blinzelte und sah, dass Tromsdorff vor ihm stand. » Alles in Ordnung?«
Faris nickte. » Ja, geht gleich wieder.« Er legte den Kopf in den Nacken, seine Muskeln schmerzten. » Entschuldige!«
Tromsdorff nahm die Hand von seiner Schulter. » Schon gut. Ich habe eine Streife zu Lauras Krankenhaus geordert, um sie zu warnen. Beruhige dich, die Jungs kümmern sich darum, dass ihr und dem Kind nichts passiert!«
Faris holte tief Luft. » Danke.«
» He!«, rief da Ben aus, der sich bis eben mit Gitta über die Firewall der Dig AA unterhalten hatte. » Seht mal!« Er deutete auf den Fernseher, auf dem N24 lief.
Eine Sprecherin mit halblangem hennaroten Haar berichtete, dass der Berliner Bombenleger sich offensichtlich an die Presse gewandt und ein Statement abgegeben hatte.
» Dieser Film«, sagte sie, » wurde uns vor ein paar Minuten zugespielt.« Im unteren Teil des Bildschirms war die typische Laufzeile zu sehen.
Bekennervideo des Berliner Bombenattentäters +++ Noch immer keine Forderungen +++ Weitere Bombe explodiert …
Das Video begann. Es zeigte zunächst einige Aufnahmen des päpstlichen Berlinbesuchs von 2011. Faris sah den damaligen Heiligen Vater bei einem Gottesdienst im Olympiastadion, dann eine kurze Filmsequenz davon, wie er auf dem Rollfeld des Flughafens Tegel von ranghohen Würdenträgern der Kirche verabschiedet wurde und davonflog. Abgelöst wurden die Bilder vom ersten Teil des aktuellen Kirchentagsmottos, das in blutroten Buchstaben auf schwarzem Grund erschien.
DAS WORT GOTTES
Danach folgten Bilder von mittelalterlichen Kreuzrittern, die die Stadt Jerusalem eroberten und dabei ein Blutbad anrichteten. Anschließend kam eine Totalaufnahme der Kaaba in Mekka. Tausende Pilger umrundeten das Heiligtum, das das Ziel ihrer Hadsch, der vorgeschriebenen Pilgerfahrt eines jeden Muslims, war. Gleich darauf fielen die Türme des World Trade Centers in sich zusammen. Als Nächstes zeigte das Video jüdische Orthodoxe an der Klagemauer in Jerusalem, die mit gleichförmigen schaukelnden Bewegungen ihre Gebete sprachen, und danach die hohe israelische Mauer, vor der Menschen standen und weinten.
Und schließlich, ganz am Ende, folgte, rot auf schwarz, der Rest des Kirchentagsmottos.
MIT FREIMUT REDEN
Kurz wurde der Bildschirm dunkel. Dann erschien ein weiterer Text.
WARUM LASSEN EURE GÖTTER DAS ZU ?
Diese Worte blieben einige Sekunden lang stehen und erloschen, als das Video endete. Die Sprecherin kam wieder ins Bild.
» Dieser Film stammt vom Bombenleger persönlich«, sagte sie. Sie wandte sich zur Seite, neben ihr stand ein grauhaariger Mann mit vorstehenden Zähnen. » Bei mir ist nun unser Experte Horst von der Reichenau. Herr von der Reichenau, was, glauben Sie, will der Täter uns mit diesen Bildern sagen?«
Der Grauhaarige setzte weitschweifig zum Reden an, aber mitten in seinem ersten Wort stellte Tromsdorff den Ton ab. » Das besprechen wir besser selbst«, grummelte er.
28. Kapitel
Die Glocke der Passionskirche
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