40 Stunden
Kollegen alles andere als kalt. Faris’ Blick wanderte über die Trümmerhaufen hinweg und blieb an der entstellten Leiche einer Frau im Businesskostüm hängen. Beim besten Willen hätte er nicht mehr sagen können, ob es jene mit dem schiefen Zahn war, die ihm vorhin zugelächelt hatte. Vor dem Mann mit der Bauchwunde und seiner schluchzenden Tochter hatten die Rettungshelfer eine Plane aufgespannt. In einiger Entfernung schrie ein Mann laut und langanhaltend nach jemandem namens Hilde. Überall sah Faris nun Kollegen. Sie halfen bei der Erstversorgung der Opfer, führten Gespräche mit Zeugen und spendeten Trost, so gut sie konnten.
Faris wollte sich vornüberbeugen, aber der Sanitäter war noch nicht fertig damit, seine Kopfwunde zu verpflastern.
» Halten Sie bitte still!«, sagte er.
Erschöpft gehorchte Faris. » Wieso bist du hier?«, wollte er von Paul wissen. » Ich denke, du hast Urlaub. Wolltest du nicht mit Christa an die Ostsee fahren?« Das hatte Paul ihm zumindest erzählt, als sie das letzte Mal miteinander telefoniert hatten.
Paul hatte die Hände in die Hintertaschen seiner Hose gestopft und die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen. » Wegen dem Kirchentag war ’ne Menge zu tun in der SERV , darum haben wir die Reise um ein paar Tage verschoben.« Er blickte sich um. » Wie’s aussieht, war das eine gute Idee.«
Faris folgte dem Blick seines Kollegen. Hinter der aufgespannten Plane wurde es hektisch. » Papa?«, kreischte das Mädchen, aber niemand schien auf sie zu achten. » Weg!«, hörte Faris einen Notarzt rufen, dann ertönte das typische Geräusch eines Defibrillators. Das Mädchen begann zu wimmern.
Faris knirschte mit den Zähnen. Der Sanitäter beendete die Versorgung seiner Wunde. » So, das war’s.« Er beugte sich zu dem aufgeklappten Koffer hinunter, der neben seinen Füßen stand, zog die Handschuhe aus und warf sie hinein. » Sie sollten das im Krankenhaus gründlich untersuchen lassen«, riet er seinem Patienten, bevor er sich zum Gehen wandte. » Könnte eine Gehirnerschütterung sein.«
Ein Polizist in Uniform, den Faris nur vom Sehen kannte, trat zu ihnen. » Können Sie gehen?«, wollte er wissen und blickte dem Sanitäter nach.
Faris bejahte.
» Dann verlassen Sie bitte die Station. Melden Sie sich oben bei den Kollegen, damit Ihre Zeugenauss…« Er unterbrach sich mitten im Satz, weil Paul sich zu ihm umgedreht hatte und er ihn erkannte. » Hey!«, rutschte es ihm heraus.
Paul nickte ihm zu. » Faris gehört zu uns, Fred.«
Der Uniformierte schaute Faris ins Gesicht. » Ein Kollege als Zeuge?«, meinte er mit einer gewissen Befriedigung. » Das ist gut! Von dir bekommen wir vielleicht nützlichere Informationen als von den ganzen Zivilisten.«
» Islamisten?«, jammerte eine ältere Dame, die in diesem Moment an ihnen vorbeigeführt wurde. Böse starrte sie Faris an. » Elendes Teufelspack!«
Faris schüttelte den Kopf. Die verzerrte Stimme des Anrufers hallte in seinem Gedächtnis wider, gleich darauf die letzten Worte des Museumsbombers.
Falsche Antwort!
» Das war kein islamistisch motivierter Anschlag«, sagte er und wunderte sich gleichzeitig, woher er diese Sicherheit nahm. Immerhin wusste er gar nicht, mit wem sie es zu tun hatten. Der Anrufer hatte seine Stimme verzerrt. Faris hatte keine Ahnung, wer er war.
Fragend schaute Paul ihn an. » Lass uns nach oben gehen.«
Die ersten Mitarbeiter der Spurensicherung trafen ein. In ihren weißen Anzügen sahen sie aus wie Astronauten, und um ihnen nicht im Weg zu sein, schlugen Faris und Paul einen Bogen um sie. Auf dem Weg nach draußen, vor einem kleinen Blumenladen, fragte Paul schließlich: » Was genau ist passiert?«
» Eine Bombe. Mehr weiß ich auch nicht. Sie muss in dem Zug gewesen sein, der kurz vorher in den Tunnel gefahren ist.« Faris dachte an die alte Nonne mit den hellen Augen, an die Gruppe von Jugendlichen in ihrer Nähe. Er spürte einen harten Knoten in der Brust, als sein Herz sich verkrampfte.
» Warum bist du hier? Du fährst nie U-Bahn«, bohrte Paul nach. Die Treppe hinauf zum Ausgang war nur kurz, graues Tageslicht ließ den Staub in der Luft schimmern.
Faris zog sein reichlich mitgenommen aussehendes Smartphone aus der Jackentasche und hielt es in die Höhe. » Ich wurde hierhergeschickt.«
Paul runzelte fragend die Stirn.
» Heute Morgen erhielt ich einen Anruf. Eine verzerrte Stimme machte eine Menge Andeutungen und befahl mir dann herzukommen.«
» Befahl?« Paul
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