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40 Stunden

40 Stunden

Titel: 40 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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    Alexander hielt in seiner Erzählung inne.
    » Es fühlt sich schrecklich an, daran zu denken«, schniefte er. » Ich habe mich von Mutter so sehr verraten gefühlt!«
    DU MUSST IHR VERZEIHEN , sagte der Engel. SIE IST DEINE MUTTER .
    Alexander nickte. Dann sprach er weiter …
    Einige Minuten später kommt Oma mit dem Nachtisch zurück. Es gibt Vanilleeis mit heißen Kirschen, seine Lieblingsnachspeise!
    Voller Vorfreude schaut er auf den Teller vor sich auf dem Tisch und kann es kaum abwarten, bis alle anderen auch ihre Portion haben, damit er endlich anfangen darf. Sein Magen knurrt vernehmlich, denn er hat ja bisher noch nicht viel gegessen.
    Endlich ist es so weit. Alexander greift nach dem Löffel und taucht ihn in die Mischung aus roter Soße und schon leicht geschmolzenem Eis. Doch kaum befindet sich der erste Löffel auf halbem Wege zu seinem Mund, als Vaters schneidende Stimme ertönt.
    » Halt!« Er spricht nicht laut, aber sofort erstarrt Alexander mitten in der Bewegung. Dann lässt er den Löffel sinken. Dabei kleckert ihm ein bisschen von der roten Soße herunter und landet auf dem Tischtuch. Es gibt einen dicken Fleck.
    Vaters Blick ruht auf ihm, und er fühlt sich durchleuchtet wie von einem Röntgengerät. » Du hast Omas Essen nicht geehrt«, sagt Vater. » Welches Gebot hast du übertreten?«
    » Werner, ich bitte dich!« Omas Stimme ist flehend. Kalt blickt Vater sie an, sodass sie es nicht wagt weiterzureden.
    Alexander schießen Tränen in die Augen, denn er weiß, dass das Eis für ihn in unerreichbare Ferne gerückt ist. Vor ihm schmilzt die Leckerei zu einem See aus Rot und cremigem Weiß zusammen.
    » Welches Gebot?«, wiederholt Vater unerbittlich.
    Mutter rührt sich nicht.
    Alexander schaut hilfesuchend zu Oma, aber auch sie scheint sich jetzt nicht mehr gegen Vater zur Wehr setzen zu können. Betreten starrt sie auf ihren eigenen Teller. Alexanders Augen drohen überzulaufen.
    » Heul nicht!«, fährt Vater ihn an. » Welches Gebot?«
    Er muss schlucken. Es ist ein Gefühl, als würde er an Omas trockenem Tierkadaverfleisch ersticken. » Das vierte«, flüstert er schließlich.
    » Und wie lautet das?«
    » Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass du lange lebest auf Erden.« …
    Alexander schniefte. Die Erinnerungen an jenen Tag brachen nun über ihn herein wie ein Unwetter. Er spürte wieder, wie sein kleiner Körper sich damals verkrampft hatte, wie das erste Stückchen seines Herzens sich von warmem Fleisch in kalten Stein verwandelt hatte.
    SPRICH WEITER , forderte der Engel ihn auf.
    Und er gehorchte …
    Offenbar hat er das Gebot richtig aufgesagt, denn für einen winzigen Moment wird der Blick seines Vaters weicher. Ganz kurz gibt Alexander sich der Hoffnung hin, doch noch sein Eis essen zu dürfen, aber er hofft vergebens.
    Vater beugt sich vor, greift nach seinem Teller und zieht ihn in die Mitte des Esstisches. » Du bekommst keinen Nachtisch«, bestimmt er. » Während die anderen essen, kannst du darüber nachdenken, was die Worte bedeuten, die du eben wiedergegeben hast.«
    Alexander sucht die Blicke seiner Mutter und seiner Oma, aber wieder weichen ihm beide aus. Nur Opa starrt Vater wütend an, doch als er warnend gemustert wird, senkt auch er den Kopf. Alexander sieht zu, wie seine Mutter den Löffel in ihr eigenes Eis taucht und ihn zum Mund führt. Sie schluckt schwer …
    Alexander hielt inne.
    Die Stimme des Boten im Licht war ganz sanft und freundlich. ES IST GUT . DAS WAR EIN GUTER ANFANG . ICH DANKE DIR !
    » Mir war schlecht vor lauter Enttäuschung«, fuhr Alexander fort. Die mühsam zurückgehaltenen Tränen schmeckten bitter in seiner Kehle. » Und zum ersten Mal dachte ich daran…« Er zögerte.
    DAS WAR DER TAG , AN DEM DEIN VATER ZUM ERSTEN MAL DAS GEWICHT SPÜRTE , erklärte der Bote.
    Alexander war sich nicht sicher, aber er glaubte, Zorn aus der Stimme zu hören.

6. Kapitel
    » Das hier war nur eine Warnung?« Pauls Augen traten hervor, als er hörte, was der Anrufer gesagt hatte.
    » Der Zug ist nur explodiert, um uns zu zeigen, dass er es ernst meint«, bestätigte Faris. Alles in ihm war angespannt. » Es gibt offenbar eine weitere Bombe. Und wenn diese hier wirklich nur eine Warnung war, würde ich vermuten, dass die zweite um einiges größer wird.« Er klickte sich durch die Menüs seines Smartphones, bis er die Mail mit dem Video gefunden hatte. » Das hat er mir geschickt.« Er drehte das Telefon so, dass Paul den Film betrachten

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