40 Stunden
sollte, hörte er jemanden seinen Namen rufen.
» Iskander!«
Faris drehte sich um und hätte beinahe aufgestöhnt, als er sah, wer dort mit schnellen Schritten auf ihn zugeeilt kam. » Niklas«, murmelte er.
Der Mann, der nun schwer atmend vor ihm stehen blieb, hatte mindestens zwanzig Kilo Übergewicht, was er zu verbergen suchte, indem er sein rot-blau kariertes Holzfällerhemd über den Hosenbund hängen ließ. Seine Füße steckten in schwarzen Bikerstiefeln, und eine Lederjacke mit hochgestelltem Kragen vervollständigte das sorgsam inszenierte Bild des investigativen Journalisten. Mit einem raschen Blick musterte er Faris von Kopf bis Fuß. » Bist du in einen Sandsturm geraten?«, fragte er grinsend.
Faris schaute an sich herab. Er benötigte dringend eine Dusche und neue Klamotten! Mit einem müden Lächeln und einem Kopfschütteln blickte er dem Reporter in die Augen.
Der hatte inzwischen ein digitales Diktiergerät aus der Tasche seiner Jacke gezogen, es jedoch nicht angeschaltet. » Was ist passiert?«, erkundigte er sich.
Faris kannte Niklas Hesse schon recht lange. Sie hatten sich in der Schule kennengelernt, in der Abschlussklasse kurz vor dem Abitur. Direkt danach waren sie beide zur Polizei gegangen und hatten auch gemeinsam ihre Prüfungen abgelegt. Aber während Faris eine klassische Polizeilaufbahn eingeschlagen und zunächst eine Weile Streifendienst absolviert hatte, hatte sich Hesse für einen anderen Weg entschieden. In der Zeit, in der Faris Karriere gemacht hatte und schließlich von Tromsdorff in das Team der SERV aufgenommen worden war, war Hesse Ausbilder an der Polizeischule gewesen. Vor zwei Jahren schließlich war er fortgezogen, und Faris und er hatten sich für eine Weile aus den Augen verloren. Jedoch schon nach einigen Monaten war Hesse wieder nach Berlin zurückgekehrt. Seltsam verändert war er damals gewesen, und statt wieder an der Polizeischule zu arbeiten, war er ganz plötzlich aus dem Dienst ausgeschieden und hatte ein investigatives Onlinemagazin namens hotnewzz.tv gegründet, von dem er aktuell mehr schlecht als recht lebte. Er hatte Faris nie erzählt, was er in den paar Monaten getrieben hatte, aber auf hartnäckiges Nachbohren hin hatte er immerhin herausgelassen, dass es mit einer Frau zusammenhing. Faris vermutete, dass sie ihm überaus gründlich das Herz gebrochen hatte.
» Kein Kommentar«, sagte Faris nun.
Hesse lachte nur. Dann blickte er in Richtung Keithstraße, überlegte kurz und meinte: » Arbeitest du neuerdings wieder?« Er wusste von Faris’ Suspendierung.
Faris schüttelte den Kopf. » Ich bin als Zeuge hier.« Geigers Rauswurf machte ihn immer noch wütend, aber er ließ es sich nicht anmerken.
» Als Zeuge?«
Faris nickte. » Und du?«
Hesse zuckte die Achseln. » Die Explosion in der U-Bahn natürlich. Bin auf dem Weg zur Keithstraße. Dachte, da bekommt man vielleicht mehr Infos als vor Ort. Dort ist nämlich immer noch alles weiträumig abgesperrt.« Er tippte sich gegen die Stirn, ungefähr an die Stelle, an der bei Faris das Pflaster saß. » Hast ganz schön einen auf den Deckel bekommen, was?«
Faris zwang sich zu einem Grinsen. » Gib dir keine Mühe, von mir erfährst du nichts.«
» Komm schon!« Hesses Augen verengten sich plötzlich. » Bismarckstraße! Ist das nicht ganz in der Nähe von deiner Wohnung?«
Faris antwortete nicht.
» Klar!« Erneut wanderte Hesses Blick an ihm auf und ab. » Du warst da unten, als die Bombe hochgegangen ist, oder? Deshalb auch das Pflaster an deinem Holzkopf.«
Faris seufzte. » Hat wohl keinen Zweck, es zu leugnen.«
» Und?«
» Nichts und.« Faris wandte sich zum Gehen.
Aber Hesse heftete sich an seine Fersen. » Komm, Alter! Du kannst mich nicht so abspeisen!«
» Wetten?«
Es war ein Spielchen, das sie spielten, seit Hesse Reporter war. Hesse tat hartnäckig, und Faris zierte sich so lange wie möglich. Dabei war der Reporter einer der wenigen Journalisten, denen Faris schon einmal inoffiziell etwas verriet. Bisher hatte er sich immer auf Niklas verlassen können. In ganz freundschaftlichen Momenten erzählten sie sich sogar private Geheimnisse, die sie sonst mit niemandem teilten. Niklas wusste über Faris’ psychische Probleme Bescheid, und im Gegenzug hatte der Reporter ihm verraten, dass er selbst eine Zeit lang eine Therapie gemacht hatte, um seine Kindheit im Heim zu verarbeiten.
Eine Frau mit einem Kinderwagen kam ihnen entgegen. Sie schritt mit solcher Todesverachtung
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