40 Stunden
ihn ganz ohne sein Zutun hierhergeführt hatte.
Widerwillig nur drehte er den Kopf.
Er hatte genau vor dem Haus mit der Nummer 10 angehalten, einem hochmodernen schneeweißen Kasten mit Eigentumswohnungen. Die akkurat geschnittene Rasenfläche davor bildete einen scharfen Kontrast zu einer verwilderten Hecke auf der gegenüberliegenden Straßenseite, hinter der sich ein Kindergarten befand. Und als sei es noch nicht genug, dass Faris sich von seinen Gefühlen hatte leiten lassen und hierhergekommen war, öffnete sich ausgerechnet in diesem Moment auch noch die Haustür von Nummer 10. Eine Frau trat heraus.
Laura.
Faris’ Blick zuckte zu dem verblichenen Lederarmband an seinem Handgelenk, und sein Herz zog sich zusammen.
Sie trug Chinos und Turnschuhe, darüber ein hellblaues T-Shirt, das vermutlich gut zu ihren ebenfalls blauen Augen passte. Auf ihren Hüften saß ihre kleine Tochter, blond wie ihre Mutter und ein bisschen pummelig, wie es Kleinkinder eben waren.
» Lilly«, murmelte Faris.
Er kam sich vor wie ein Spanner. Und er konnte nichts dagegen tun, dass seine Erinnerungen ihn in die Vergangenheit katapultierten. Zu einem Abend, der über zweieinhalb Jahre zurücklag…
» Faris?«, hatte Laura damals aus ihrem Arbeitszimmer gerufen.
Seufzend hatte er das Buch sinken lassen, das er soeben zur Hand genommen hatte. » Ja, Schatz?«
» Kommst du mal gucken?« Angespannte Aufregung vibrierte in Lauras Stimme. Faris war klar, dass er erst seine Ruhe haben würde, wenn er sich angeschaut hatte, was sie ihm zeigen wollte. Also legte er das Buch fort. Ein Lesezeichen war nicht nötig, er war über die erste Seite noch nicht hinausgekommen. Er stand auf und ging in das Nachbarzimmer in ihrer kleinen Wohnung hinüber, in dem Laura auf einem weißen Schreibtisch ihren ebenfalls weißen Laptop aufgebaut hatte. Auf dem Bildschirm lief irgendein Film, den sie im Internet gefunden hatte. Faris’ Blick fiel auf das Logo eines bekannten Videoportals.
In dem Film rannte ein kleines Mädchen mit blonden Locken und geblümtem Kleid einem großen, langhaarigen Hund hinterher. Es juchzte lauthals, der Hund drehte sich einmal um seine eigene Achse und bellte fröhlich. Dann war der Ausschnitt zu Ende.
» Ist die nicht süß?«, fragte Laura. Mit strahlenden Augen blickte sie über die Schulter hinauf in Faris’ Gesicht.
Faris entschied sich für einen Scherz. » Das Mädchen oder der Hund?«, fragte er.
Laura schlug nach ihm. » Idiot! Das Kind natürlich! Du weißt genau, dass ich von dem Kind rede.«
Er lächelte nur, aber es fühlte sich mühsam an, denn er kam sich manipuliert vor. Laura verfolgte ein bestimmtes Ziel damit, dass sie ihm das Video zeigte, und das wusste er nur allzu genau.
Sie wies auf den Titel des Filmes. Lilly und Tyler spielen, stand dort.
Zu Faris’ Erleichterung achtete sie nicht mehr auf ihn, und so entging ihr, dass er das Lächeln von seinem Gesicht wischte. Seit ein paar Monaten schon redete Laura davon, ein Kind zu bekommen. Sie war eine energische Frau, eine, die all ihre Ziele mit großer Hartnäckigkeit anging. Für sie stand bereits fest, dass sie ein Mädchen bekommen und es Lilly nennen würde. Dass Faris einer Familiengründung eher abwehrend gegenüberstand, war für sie nur ein kleines Hindernis auf dem Weg zu ihrem Ziel.
» Ich habe einfach mal den Namen gegoogelt«, erzählte sie eifrig. » Und es gibt eine ganze Menge Treffer. Der Film hier war der beste.« Sie scrollte den Ladebalken unter dem Fenster zurück und startete den Film erneut. Wieder juchzte das Kind, wieder bellte der Hund.
Faris hatte plötzlich Kopfschmerzen. » Woher weißt du, dass Lilly das Kind ist?«, fragte er, noch immer um einen Scherz bemüht, doch jetzt deutlich angestrengt. » Es könnte doch auch der Hund sein.«
Laura schoss einen genervten Blick auf ihn ab. » Tyler als Mädchenname?«
Sie konnte unglaublich penetrant darin sein, seine Scherze zu ignorieren.
Faris gab es auf. » Schon gut. Ein niedlicher Film, ja.«
Nur drei Monate später war Laura von einem anderen Mann schwanger gewesen.
Genau diese Szene ging Faris jetzt durch den Kopf, während er auf Hesses Motorrad saß und dabei zusah, wie Laura das Kind in einen Sportbuggy setzte. Er bemerkte, dass er an seinem Lederarmband spielte, und ließ davon ab. Laura schob den Kinderwagen durch die niedrige Gartenpforte auf die Straße hinaus. Als sie Faris entdeckte, fiel ein Schatten über ihr herzförmiges Gesicht.
Faris fühlte
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