40 Stunden
gegangen wäre, dann hätte dieser blöde Kirchentag irgendwo auf dem Mond stattfinden können. Nein, besser noch: auf dem Mars! Das war noch ein bisschen weiter weg. Aber stattdessen verstopften diese singenden, betenden Trottel alle Straßen Berlins und gingen ihm nun schon seit Tagen auf den Wecker. Heute Morgen hatte ihm einer dieser Typen sogar einen dieser Leuchtstäbe geschenkt, war es denn zu glauben?
Im Weitergehen zog Westphal das stabartige Ding aus der Tasche seines Sakkos. Missmutig starrte er darauf. Motto und Logo des Kirchentags waren in bunten Buchstaben auf das weiße Plastik gedruckt.
Das Wort Gottes mit Freimut reden.
Was für ein sentimentaler Schwachsinn!
Westphal sah sich um. Er hatte die U-Bahn-Station am Adenauerplatz jetzt beinahe erreicht, und nur wenige Meter von ihm entfernt hing ein Mülleimer an einem Laternenpfahl. Natürlich quoll er über von leeren Fastfoodschachteln und anderem Unrat aus den diversen Schnellrestaurants an der Ecke. War ja typisch! Da zog sich die Stadt eine Veranstaltung wie diesen Kirchentag an Land, und dann war sie nicht einmal in der Lage, dafür zu sorgen, dass der Dreck all dieser Menschen ordnungsgemäß entsorgt wurde!
Mit dem Leuchtstab in der Hand blieb Westphal neben dem überfüllten Mülleimer stehen. Ein paar Wespen umschwirrten seinen Kopf, aber er achtete nicht auf sie. Kurz spielte er mit dem Gedanken, den fingerdicken Plastikstab durchzubrechen und nachzusehen, in welcher Farbe er wohl leuchtete, und bevor er sich diesen Anflug von kindlichem Spieltrieb versagen konnte, hatte er es auch schon getan. Nichts geschah.
Das blöde Ding war also auch noch kaputt!
Mit einer wütenden Geste stopfte Westphal den Leuchtstab in den Müll. Dann setzte er seinen Weg fort. Es wurde Zeit, dass er endlich zu seinem Kunden kam!
Bobby beobachtete den Anzugträger, als dieser etwas in den überquellenden Mülleimer stopfte. Sofort war sein Interesse geweckt. Diese Schnöseltypen warfen öfter mal Sachen weg, die er– Bobby– noch gut zu Geld machen konnte. Mühsam stemmte er sich von seiner Decke neben dem Eingang der U-Bahn-Station in die Höhe, umrundete die Fahrräder, die dort angeschlossen waren, und schlurfte zu dem Mülleimer hinüber.
Neugierig spähte er zwischen die Pappschachteln und die halb aufgegessenen Burger. Mit dem Zeigefinger schob er eine zerknüllte Zeitung beiseite. Eine Wespe fühlte sich gestört und flog ihm aggressiv summend mitten ins Gesicht. Bobby wischte sie weg. Dabei fiel sein Blick auf den Gegenstand, den der Anzugtyp weggeworfen hatte.
Es war eines dieser Kirchentagsknicklichter, und es war außerdem auch schon benutzt worden. Deutlich war der milchige Knick in der weißen Plastikoberfläche zu erkennen.
Enttäuschung breitete sich in Bobby aus, denn er hatte auf etwas Wertvolles gehofft. Trotzdem nahm er das dünne weiße Ding mit dem regenbogenfarbenen Band in die Hand und betrachtete es von allen Seiten. Ein wenig Ketchup klebte daran, und er putzte ihn mit dem Hemdzipfel ab. Dann hängte er sich das Licht an dem bunten Band um den Hals. Jetzt fühlte er sich fast selbst ein bisschen wie einer der Kirchentagsbesucher! Er kicherte leise.
Eine Gruppe Jugendliche mit bunten Schals kam vorbei. Bobby mochte die Kirchentagsbesucher. Sie waren meistens spendabel, und vielleicht würden sie ihm ja nun mehr Geld geben, wo er deutlich sichtbar zu ihnen gehörte. Gespannt lächelnd kehrte er zu seinem Platz zurück und zählte seine Ausbeute. Fast zehn Euro. Vergnügt grinste er in sich hinein. Ja, er war definitiv ein Fan des Kirchentages!
Spontan entschied sich Bobby, dass er für heute genug gearbeitet hatte. Sorgsam rollte er seine Decke zusammen, verstaute sie in der Alditüte, die ihm als Koffer diente. Er würde sich im Preußenpark ein bisschen ausruhen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.
In der Mitte der kreisrunden Rasenfläche ließ er sich wenig später nieder. Die Sonne schien ihm warm auf den Pelz, und vergnügt hielt er ihr sein Gesicht entgegen. Zehn Euro in knapp zwei Stunden! So viel bekam er sonst am ganzen Tag nicht zusammen. Seine Finger spielten mit dem Knicklicht, während er vor sich hindöste. Irgendwo schlug eine Kirchenglocke die volle Stunde, aber er zählte nicht mit, wie spät es war. Er war gerade im Begriff aufzustehen, als das Knicklicht ein seltsames Geräusch machte. Es klang wie ein feiner Knall, ziemlich leise, doch Bobby hatte gute Ohren. Verwirrt schaute er auf den weißen
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