40 Stunden
» Ja«, flüsterte er.
***
Gustav Dellinghaus verbrachte den Abend gern damit, die Gärten der Kolonie am Flugplatz zu kontrollieren, deren Vorstandsvorsitzender er war.
Ungefähr eine halbe Stunde lang spazierte er in der Dunkelheit einfach die gekiesten Wege entlang und lächelte dabei. Rechts und links von ihm lagen » seine« Gärten– allesamt ökologisch bewirtschaftet und trotzdem mit Sinn für Ordnung. So mochte er das! Er kam an dem Jägerzaun der alten Frau Reiß vorbei. Im Licht seiner Taschenlampe fiel sein Blick auf den Rasen, der mit Löwenzahn übersät war. Der Großteil der gelben Blumen war verblüht und hatte den weißen Kugeln von Pusteblumen Platz gemacht. Dellinghaus blieb stehen und bückte sich nach einer der Pflanzen, die er durch den Zaun hindurch erreichen konnte. Als er sie ausrupfte, erhoben sich die kleinen Schirmchen taumelnd in die Luft. Mit einem missmutigen Gesicht richtete Dellinghaus sich wieder auf und machte sich im Geiste eine Notiz: Morgen würde er Frau Reiß anrufen und ihr sagen, dass das so nicht ging. Ökologisches Gärtnern hin oder her: Sie war verpflichtet, darauf zu achten, dass auf ihrer Parzelle keinerlei Unkraut wuchs, das sich einsamen konnte. Das hatten die Vereinsmitglieder erst kürzlich in ihre Satzung aufgenommen, weil die zunehmenden Flugsamen zu einem immer größeren Problem geworden waren. Dellinghaus zog ein Taschentuch hervor und schneuzte sich damit. Sicher, die alte Frau Reiß war schon recht gebrechlich, aber darauf konnten sie schließlich keine Rücksicht nehmen. Sollte sich doch ihre erwachsene Tochter um den Garten kümmern, wenn die Alte das nicht mehr konnte!
Seufzend ging Dellinghaus weiter.
In den letzten Wochen hatte es mehrfach Beschwerdeanrufe bei ihm gegeben. Der Garten der Familie Ellwanger war den angrenzenden Pächtern schon länger ein Dorn im Auge. Zwar waren die Beete hier gepflegt, aber mit dem Gartenhaus schien etwas nicht zu stimmen. Es vermittle ein komisches Gefühl, so hatte es einer der Nachbarn zu erklären versucht, und jetzt war Dellinghaus auf dem Weg, um sich selbst ein Bild von der Lage vor Ort zu machen. Er trat auf eine der kleinen Kreuzungen hinaus und sah sich um. Die Ellwangers hatten ihre Parzelle im Kirschenweg.
Dellinghaus wandte sich nach links und hatte kurz darauf sein Ziel erreicht. Er richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf das Grundstück.
Auf den ersten Blick wirkte alles ganz normal. Der Rasen hätte mal wieder gemäht werden müssen, aber es gab weder Löwenzahn noch anderes Unkraut, und auch die Laube stand ordentlich gestrichen da. Kein Sperrmüll auf der kleinen Terrasse, keinerlei Müllsäcke, die herumlagen und Ungeziefer anzogen.
Was die Nachbarn nur hatten?
Dellinghaus wollte sich schon zum Gehen wenden, als ihm etwas auffiel.
Eine der Fensterscheiben der Laube war zerbrochen.
Sofort erwachte das Pflichtbewusstsein in ihm. Er musste Ellwanger Bescheid geben, nicht dass sich hier noch irgendwelches obdachloses Gesindel einnistete. Besser, er kontrollierte gleich, ob das nicht längst geschehen war. Entschlossen hakte er den Schlüsselbund vom Gürtel, in dem er für jedes Gartentor einen Zweitschlüssel hatte. Doch noch bevor er den richtigen gefunden hatte, fiel sein Blick auf das dicke Vorhängeschloss, das direkt über dem Schloss des Gartentores angebracht war.
» Was zum Teufel…«, murmelte er.
Es war verboten, seine Parzelle so zu sichern, dass der Vorstand nicht mehr auf die Grundstücke konnte. Dellinghaus’ Blick wanderte zu der Laube mit dem zerbrochenen Fenster hinüber. Plötzlich bekam er eine Vorstellung davon, was die Nachbarn gemeint hatten, als sie von einem unguten Gefühl gesprochen hatten.
Ihn fröstelte.
Energisch schob er den Anflug von Unbehagen zur Seite. Das würde man ja sehen! Er war jedenfalls nicht der Typ, der sich von einem Maschendrahtzaun und einem dämlichen Gartentor aufhalten ließ. Er schaute nach rechts und links, ob ihn jemand beobachtete, dann kletterte er kurzerhand über den Zaun. Gleich darauf marschierte er den schmalen Weg zwischen den Beeten entlang und auf die kleine Terrasse aus Waschbetonplatten hinauf. Das zerbrochene Fenster lag jetzt direkt vor ihm.
Wieder überfiel ihn ein Frösteln. Wieder wehrte er sich dagegen. Er beugte sich vor, um einen Blick durch die zersprungene Scheibe zu riskieren. Drinnen war es stockfinster.
Er zögerte.
Doch dann leuchtete er mit der Taschenlampe durch das Loch. Für einen Augenblick sah
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