40 Stunden
gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Irgendwann schließlich hatte Dennis’ Handy geklingelt, und er war ziemlich missmutig rangegangen. Er hatte ein paarmal » Ja« gesagt und dann » Kannst du vergessen, Rainer!«. Dann hatte er aufgelegt. » Mein Bruder!«, hatte er mit gen Himmel verdrehten Augen gemeint. Kurz danach hatte er sich verabschiedet, aber bevor er gegangen war, hatte er ihnen beiden einen flüchtigen Kuss auf die Wange gegeben. Jenny bildete sich ein, dass ihr Kuss etwas länger ausgefallen war als Pias.
Sie lächelte still in sich hinein.
Da brach Pia in schallendes Gelächter aus. » Du bist ja verknallt!«, rief sie und schien jetzt auch noch das letzte bisschen Eifersucht überwunden zu haben.
Jenny spürte, wie sie rot wurde.
» Hey, unsere kleine Jenn hat das andere Geschlecht entdeckt! Ist doch super!« Pia hakte sich bei ihr unter und zog sie weiter.
Unsicher pustete Jenny gegen ihre Haare. » Bist du sicher, dass du nicht sauer bist?«
» Ach wo!«, winkte Pia ab. » Es gibt genug süße Typen hier.« Wie um zu beweisen, dass sie recht hatte, kamen ihnen zwei junge Männer entgegen, die mit ihren sorgsam gegelten Frisuren wie Fotomodels aussahen. Sie unterhielten sich angeregt und beachteten die Mädchen nicht.
Als sie vorbei waren, zuckte Pia die Achseln. » Ihr wisst nicht, was euch entgeht, Jungs!« Dann grinste sie erneut und entwand Jenny das Knicklicht, das diese noch nicht verstaut hatte. » Hey!«, meinte sie und wog es prüfend in der Hand. » Komisch!«
» Gib wieder her!« Jenny versuchte, das Licht zurückzuerobern.
Pia entzog es ihr, reichte es dann aber doch zurück. » Du solltest zusehen, dass er es dir nach dem Gottesdienst morgen wiedergibt. Wenn er dich abserviert, kannst du ihn ja aus den Hautzellen daran klonen lassen.«
Jenny entging die Spitze nicht, die in diesen Worten lag. Pia schien sich ganz sicher zu sein, dass Dennis Jenny abservieren würde. Jenny presste die Lippen zusammen und suchte nach einer passenden Antwort. Ihr fiel jedoch nichts ein, was angemessen zweideutig und gleichzeitig scherzhaft genug war, um die Stimmung nicht zu vergiften, also schwieg sie.
» Was machen wir jetzt?«, fragte Pia.
Jenny hängte sich das neue Knicklicht um den Hals. » Schlag was vor«, sagte sie wenig begeistert. Da sie für den Rest des Abends auf Dennis verzichten musste, hatte sie zu allem anderen auch keine Lust.
***
» Faris!«, rief Marc von draußen. » Komm mal her!« Er klang erschrocken.
Faris warf einen letzten Blick auf die milchig weißen Leuchtstäbe und zuckte die Achseln. Dann nickte er Paul zu und kletterte aus dem Fenster. Marc war nirgends zu sehen.
» Hier bin ich!«, erklang seine Stimme hinter der Laube.
» Faris?« Pauls Stimme drang durch das offene Fenster. » Weißt du, was mir gerade eingefallen ist?« Er klang aufgeregt, und kurz wusste Faris nicht, um welchen seiner beiden Kollegen er sich zuerst kümmern sollte.
» Faris, komm doch endlich!«, schrie Marc. » Wir haben hier was.«
Faris streckte den Kopf durch das Fenster zurück ins Innere der Laube. » Ich bin gleich wieder da, Paul«, sagte er, dann marschierte er von der Terrasse, suchte sich einen Weg zwischen den Beeten hindurch und umrundete das kleine Gebäude. Marc stand zusammen mit Dellinghaus vor dem Komposthaufen in der hinteren Ecke des Gartens. Er war sehr blass. Im Licht von Dellinghaus’ Taschenlampe lag ein Stapel Latten, die jemand auf dem Komposthaufen aufgeschichtet hatte. Sie waren zusammengenagelt. Wie Kreuze.
» Das ist…« Faris beugte sich vor, um sich die Sache genauer anzusehen, doch in diesem Moment zirpte sein Smartphone.
Er riss es aus der Tasche. » Ja?«, meldete er sich.
Der Anrufer sagte nur einen einzigen Satz. » Du hast deine Handyortung immer noch nicht ausgeschaltet!«
In Faris’ Adern verwandelte sich das Blut in Eis. Daran hatte er nach dem Adrenalinflash während der Internetcafé-Episode überhaupt nicht mehr gedacht. Er fuhr herum, aber es war zu spät.
Direkt vor ihm explodierte die Gartenlaube in einem glutheißen Feuerball, der die Nacht erhellte.
2. Teil – Stunde 15 bis Stunde 28
Mein Gott, mein Gott,
warum hast du mich verlassen?
(Markus 15,34)
22. Kapitel
Das Atmen fällt ihm schwer. Er muss sich anstrengen, um seine Lungen mit Luft zu füllen. Seine Arme sind weit aufgespannt, die Nägel, die durch seine Hände und Füße getrieben sind, glänzen von seinem Blut. Aber seltsamerweise hat er immer noch kaum
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