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40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte

40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte

Titel: 40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timm Kruse
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gebrochen, auch wenn ein kleiner Beobachter in mir das ganze Theaterstück beschämt verfolgte. Gabi sagte nur: »Flexibilität heißt nicht, dass alle Welt sich nach dir richten muss.«
    Jetzt, nach 36 Tagen Fasten, sind die letzten Runden eingeläutet, und es passiert endlich etwas. Gestern hatte ich schon einen Heulkrampf, als ich alleine am Fenster saß und mir vorstellte, wie Gabi mir etwas zu essen macht. Heute das.
    Vorhin klingelte das Telefon. Gabi. Es tut uns beiden schrecklich leid. Ihr, dass sie so zickig war, und mir, dass wir jetzt ihre Küche neu streichen und neue Bücher kaufen müssen. Aber am meisten schäme ich mich dafür, dass ich sie so angeschrien habe. Sie, die ich so liebe, die so zu mir hält, die kein einziges schlechtes Wort verdient hat. Da heule ich schon wieder, zum Teil aus reinem Selbstmitleid. Dafür, dass ich so ein blöder Idiot bin, der 40 Tage fastet und nicht damit rechnet, dass sein Seelenheil flöten geht. Ich habe die Kontrolle über mich vollkommen verloren, was mir sonst nie passiert. Es zeigt mir, dass ich bei all meinem Anderssein mich trotzdem immer kontrolliert anders verhalte. Mit dem Fasten geht auch die Kontrolle verloren.
    Jetzt bin ich matt. Leer. Aber ich fühle zum ersten Mal in meinem Leben die Gnade der Durchschnittlichkeit. Ich will jetzt nichts Besonderes mehr sein. Natürlich ziehe ich die letzten Tage noch durch. Aber sonst will ich nichts mehr, strebe nach nichts, alles ist dann gut, wie es ist. Ich will einfach nur noch ein ganz normaler Mensch sein.
    Ich habe immer versucht, jemand zu sein. Jetzt wäre ich viel lieber niemand . Als Niemand lebt es sich leichter.
    Gabi hat einen Erdbeer-Sahne-Tee entdeckt, der zumindest halbwegs schmeckt. Es sind jetzt nur noch so wenige Tage, aber die Lust auf Schmackhaftes ist gewaltiger denn je. Allein das Wort »Sahne« macht diesen Tee zu etwas Besonderem.
    Die Stimmung zu Hause auf dem Hof ist mit einer stillen Messe zu vergleichen. Der Hahn ist tot und unsere Freundschaft erloschen. Aber ich kann den beiden jetzt schlecht sagen, dass wir da irgendwann drüber lachen werden. Morgen wird Otto Zwo angeschafft.
    Immer mehr entrücke ich der Welt und meinem »alten« Leben. Bei der Arbeit merkte ich letzte Woche deutlich, dass ich da nicht mehr hingehöre. Ich bin ein Alien. Arbeite aus Bequemlichkeit. Nehme leicht verdientes Geld mit. Mehr ist es nicht. So bin ich kein Journalist mehr.
    Gleichzeitig empfinde ich Angst davor, das öffentlich-rechtliche Nest zu verlassen. Fernsehen ist zu 99 Prozent sinnlos. Wenn es die Menschen aufklärt, für Bildung sorgt oder vor tatsächlichen Gefahren warnt, unterstütze ich dieses Medium. Aber Fernsehnachrichten sind häufig dumme Unterhaltung, Panikmache oder Klugscheißerei. Als Journalist weiß ich im Nachhinein sowieso alles besser. Wir warnen nicht vor Gefahren, wir berichten höchstens über sie.
    Nach den meisten Sendungen bleiben die Leute häufig verdutzt, frustriert, verängstigt oder von Informationen überfrachtet zurück und fühlen sich schlechter als vorher. Dabei wollen wir möglichst gut aufklären. Aber wie häufig gelingt uns das wirklich? Und wie oft geht es in die Hose? Hinterfragen wir Journalisten uns wirklich? Warum haben wir ursprünglich diesen Job ergriffen und wo sind wir letztendlich gelandet? Sind wir beispielsweise für eine gute Politik in Deutschland? Oder freuen wir uns über schlechte Politik, damit wir ausgedehnt darüber berichten können? Sind wir nicht ständig auf der Suche nach Skandalen und Fehlern? Sollten wir seriöse Anstrengungen anderer nicht viel stärker unterstützen? Natürlich gibt es in fast allen Redaktionen solche Diskussionen. Aber das Mediengeschäft ist so schnelllebig, dass hierüber selten tiefgründig und gemeinsam debattiert wird. Die nächste Krise, der brisanteste Skandal oder die neueste Katastrophe kommen schneller, als wir diese Gedanken überhaupt aussprechen können.
    Was soll jetzt kommen? Mir wird auch klar, dass ich faste, um endlich Sinn in mein Leben zu bringen. Was will ich wirklich? Nach den 40 Tagen müsste aller Müll aus meinem Körper geschwemmt sein, und es müsste sich mir die Zukunft zu Füßen legen.

Siebenunddreißigster Tag, 7. Oktober
Verzicht nimmt nicht. Verzicht gibt. Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen.
MARTIN HEIDEGGER
    Siebenunddreißigster Tag, 7. Oktober
    77,4 KILOGRAMM
    Das Ende ist nah. Nicht meins! Das Ende des Fastens. Aber wer weiß …
    Langsam dicke ich meine

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