41 - Unter heisser Sonne
befreien!“
„Nicht?“
„Nein. Kennen Sie die Stadt und ihre Verhältnisse?“
„Nein.“
„So sind Sie verloren, sobald Sie hinkommen. Es gehört nicht nur ein großer Wagemut, sondern auch ein bedeutendes Quantum List dazu, das auszuführen, was Sie vorhaben.“
„Mein Gott!“ rief er enttäuscht. „Sie meinen also, daß ich es nicht fertigbringe?“
„Allein gewiß nicht.“
„Allein nicht? Wen soll ich denn mitnehmen? Wer soll mir helfen?“
„Ich.“
„Sie, Monsieur? Sie wollten mit?“
„Ja.“
„Ist das Ihr Ernst? Ist das die Möglichkeit?“
„Ich gehe sehr gern mit. Sie haben mir vorhin das Leben gerettet; Sie sollen Ihren Sohn wiederhaben.“
„Das kann ich nicht glauben; das kann ich nicht verlangen!“
„Bedenken Sie, daß ich der einzige Christ bin, der in Kaïrwan gewesen ist, also der einzige Mensch, der das Gelingen Ihres Vorhabens ermöglichen kann!“
„Aber gerade weil Sie schon dort waren, wagen Sie doppelt! Man hat Sie damals erkannt. Wenn man Sie jetzt wiedererkennt, sind Sie verloren.“
„Je mehr man wagt, desto sicherer ist man, Monsieur. Nehmen Sie mich mit?“
„Wie gern, o wie so gern! Denn wenn Sie mitgehen, erscheint mir das Gelingen sicher.“
„Gut, das ist also abgemacht. Hier meine Hand!“
„Haben Sie denn Zeit?“
„Zu so einem Streich habe ich immer Zeit. Schlagen Sie getrost ein!“
Wir drückten einander die Hände; dann fragte er: „Wann geht es denn fort von hier? Wann brechen wir auf? Noch heut?“
„Nein, morgen früh.“
„Erst!“
„Nur nichts übereilen! Unsere Pferde müssen ausruhen. Sind zwei Jahre vergangen, so kommt es nun auf wenige Stunden mehr auch nicht an.“
„Wie fangen wir es an, um in die Stadt zu kommen?“
„Wir tun, als wären wir Pilger. Sind Ihre beiden Diener treu?“
„Ja.“
„So bleibt einer hier bei Ihren Sachen, und der andere reitet mit uns. In der Gegend von Kaïrwan übergeben wir ihm unsere Pferde und Waffen; er muß auf unsere Rückkehr warten, und wir ziehen zu Fuß und unbewaffnet als arme Pilger in Kaïrwan ein.“
„Unbewaffnet?“
„Wenigstens scheinbar. Meine Revolver nehme ich mit; die sieht man nicht. Sind Sie mit diesem Plan einverstanden?“
„Natürlich! Was könnte ich dagegen haben, ich, der ich die Verhältnisse gar nicht kenne, während Sie nicht nur in diesem Fall, sondern überhaupt in solchen Dingen erfahren sind?“
„So bleibt es dabei. Morgen früh reiten wir von hier fort. Doch sagen Sie keinem Menschen, um was es sich handelt. Diese Leute sind alle Mohammedaner, denen Kaïrwan für heilig gilt; sie könnten uns leicht einen bösen Streich spielen.“
Vier Tage später, um die Mittagszeit, hielten wir in der Nähe des Karawanenweges an, welcher von Kaïrwan nach dem Dschebel Abd el Fadelun führt. Wir mußten den Diener hier zurücklassen. Er bekam alles, was wir bei uns hatten, außer meinen Revolvern; einiges Geld behielten wir natürlich auch. Ich zeigte ihm die Stelle, an welcher wir wieder mit ihm zusammentreffen wollten; dann wanderten wir der heiligen Stadt zu.
Ob wir sie wohl glücklich wieder verlassen würden?
Diese sehr ernste Frage legte ich mir natürlich vor. Diejenigen Bewohner von Kaïrwan, die mich bei meiner ersten Anwesenheit gesehen hatten, brauchte ich nicht zu fürchten. Damals trug ich einen dichten Vollbart, jetzt nur den kurz geschnittenen Schnurrbart und auch ganz andere Kleider. Sie erkannten mich gewiß nicht. Aber der Kaïrwaner, der in Kairo unter dem Bab Zuweileh zu dem Kutb gebetet hatte, der machte mir Bedenken. Er war zwar von mir beschenkt worden, hatte aber gesagt, daß wir nun quitt seien. Wir mußten unbedingt in die Moschee, und er war Diener an derselben. Welche Vorsicht war da anzuwenden, daß er uns nicht zu sehen bekam!
Außerdem fragte ich mich, wie wir den Knaben ausfindig machen wollten. Am besten wohl durch den Besuch der Schule, falls dieser erlaubt war. Doch, das fand sich schon; das mußten die Verhältnisse ergeben.
Was Girard, den Händler, betrifft, so war er jetzt sehr schweigsam geworden. Er wußte, daß wir einer Gefahr entgegengingen; ihre volle Größe hatte er aber nicht gekannt; nun jedoch, als wir uns unserem Ziel näherten, mochte es ihm doch anders um das Herz werden als bisher.
Da sahen wir den nördlichen Stadtteil vor uns liegen und durchschritten ihn auf denselben Gassen, durch welche ich damals auch gegangen war. Uns ein Unterkommen zu suchen, das hoben wir für später auf; wir
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