41 - Unter heisser Sonne
begaben uns direkt nach der Moschee, welche sehr besucht war. Wir knieten wie die anderen nieder, scheinbar um unser Gebet zu verrichten; anstatt dessen aber flog mein Blick von Person zu Person, um mich zu orientieren. Girard gestand mir später, daß er wirklich gebetet hatte um das Gelingen unseres kühnen Plans.
Darauf gingen wir, wie es eben fremde Pilger tun, langsam durch die Säulenhallen, um die wunderbare Architektur zu betrachten. Als uns da ein Moscheebediensteter begegnete, fragte ich ihn nach der Schule der Knaben und er machte sehr bereitwillig den Führer.
Sie machte sich schon von weitem durch die Kinderstimmen kenntlich, welche Koranverse plärrten. Wir durften in den Raum treten; es waren viele Zuhörer da. Wir fanden lauter ältere Knaben; die jüngeren hatten später Unterricht. Wir gingen also einstweilen wieder fort.
Eben als wir aus der Tür traten, wollte jemand hinein, und dieser jemand war – der bittende Soldat vom Tor Zuweileh. Wir erkannten einander augenblicklich.
„Maschallah!“ rief er aus. „Effendi, du! Du abermals!“
Ich ging ruhig weiter, als ob seine Worte mich gar nichts angingen. Er kam mir nach, faßte mich am Arm und sagte: „Effendi, was wagst du wieder! Es ist – – –“
„Was willst du von mir?“ unterbrach ich ihn streng im Dialekt der westlichen Sahara.
„Wer bist du, Herr?“ fragte er, irre geworden.
„Ich bin ein Beni Schugara vom Ufer des Hamam.“
Ich hatte meine Stimme verstellt, und der fremde Dialekt dazu, das wirkte.
„Verzeih, o Herr; ich verkannte dich!“ sagte er und ging; aber ich bemerkte, daß er uns heimlich folgte.
„Wer war der Mann?“ fragte der Franzose. Ich sagte es ihm.
„So sind wir verloren!“ klagte er.
„Nein.“
„Gehen wir fort!“
„Auch nein! Das würde ihn in seinem Verdacht bestärken. Wir bleiben nun erst recht.“
Gegen Abend wurden die Lampen angebrannt, und das Innere der Moschee erglänzte feenhaft in einem Meer von Licht. Der Unterricht der Kleinen begann. Es waren wohl an die hundert erwachsene Zuhörer da. Wir gesellten uns zu ihnen. Da kamen die Knaben und setzten sich nieder. Der Lehrer war noch nicht da; sie warteten. Aber mehrere Moscheediener standen am Eingang. Es herrschte tiefe Stille; da plötzlich rief eine helle jubelnde Kinderstimme: „Mein Vater, o Allah, mein Vater!“
Ein hübscher, etwa sechsjähriger Knabe sprang auf und kam mit ausgestreckten Ärmchen auf uns zugesprungen.
„Mein Sohn, mein liebes, liebes, geraubtes Kind!“ schrie der Vater unvorsichtig. Er bückte sich nieder und hob den Knaben an seine Brust.
Ich hätte entspringen können, wollte Girard aber nicht verlassen. Einen Augenblick lang tiefe Stille, dann schrie einer der Diener: „Das sind Christen, zwei verfluchte Christen! Tötet sie!“
Wir waren sofort umringt. Man wollte uns niederreißen. Ließ ich es dazu kommen, so wurden wir gewiß zertreten. Ich stemmte mich also fest, wehrte die Wütenden nach Kräften von mir ab und rief: „El Adala, el Adala – Gerechtigkeit, Gerechtigkeit! Man soll erst untersuchen, ob wir Christen sind!“
„Ja“, ertönte eine Stimme. „Im Namen dieser hohen Moschee des heiligen Okba Ben Nafi! Wir arretieren diese beiden Fremden; laßt sie los, ihr Gläubigen! Das Gericht der Meschhed wird sie verhören. Macht Platz, macht Platz!“
Es war der Moscheediener aus Kairo. Er kam mit acht oder zehn Kollegen zu uns und drängte die Menge von uns ab. Sie umringten uns und schafften uns fort, durch einen Seitengang, wo niemand uns belästigte, und einige andere schmale, dunkle Gänge in ein Gewölbe, in welches wir eingeschlossen wurden.
Girard hatte seinen Knaben noch in den Armen. Niemand war auf den Gedanken gekommen, ihm denselben zu nehmen.
„Verloren, alles verloren!“ klagte er. „Endlich, endlich mein Kind gefunden und nun sterben müssen!“
„Still!“ bat ich. „Ich habe Hoffnung.“
„Jetzt noch Hoffnung?“
„Ja.“
„Woher könnten Sie dieselbe schöpfen?“
„Ich hoffe auf den Tempeldiener, welcher uns arretiert hat.“
„Der ist ja der Schlimmste, sonst hätte er uns nicht arretiert.“
„O nein. Er hat uns verhaftet, um uns den hundert Händen zu entreißen, welche sich ausstreckten, um uns zu vernichten.“
„Sie sind wirklich ein seltener Mann, Monsieur! Ich glaube, Sie stehen noch im Grab einmal auf und sagen, daß Sie lebend sind!“
„Der Mensch darf sich nie verloren geben. Sie haben Ihren Armand. Seien Sie einstweilen
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