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41 - Unter heisser Sonne

41 - Unter heisser Sonne

Titel: 41 - Unter heisser Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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zu treffen. Auf unser Befragen erfuhren wir von der arabischen Witwe, daß sie heute nur noch bis zur Eiche Abrahams gehen und dort die Nacht über im russischen Hospiz bleiben wolle. Sie habe gehört, daß man dort auch Mittellose beherberge. Da erklärte unser freundlicher Hammahr, daß sie mit ihrem Töchterchen nicht zu laufen brauche, sondern reiten könne, denn er kehre auf demselben Weg zur Stadt zurück. Sie nahm es dankbar an. Als der Bub das hörte, fragte er mich leise: „Hast du ein Zwanzigfrankstück bei dir, Effendi?“
    „Ja“, antwortete ich.
    „Bitte, schenke es mir, aber laß es niemand sehen!“
    Ich ahnte, was er wollte, und gab ihm heimlich das Verlangte. Da stieg die Mutter mit dem Kind auf einen der Maulesel und der Hammahr nahm den zweiten. Thar schwang sich auf die Güwerdschina und sagte: „Ich reite mit bis zur Eiche, dann kehre ich zu Fuß nach der Straße zurück. Ehe Vater kommt, bin ich dort.“
    Er zog der ‚Taube‘ den Schwanz in die Höhe, worauf sie mit lautem Wiehern davonschoß. Meine Frau nannte der Witwe unseren Namen und unsere Wohnung in Jerusalem und bat sie, uns dort auf alle Fälle aufzusuchen; wir würden uns aufrichtig und herzlich freuen, sie und ihr Töchterchen wiederzusehen. Sie versprach es zu tun, und die Art und Weise, in der sie dies versicherte und sich von uns verabschiedete, gab uns gute Gewähr, daß sie Wort halten werde. Dann ritten sie davon, Thar einzuholen. Wir beide aber machten eine kurze Fußpartie durch die Umgegend, doch so, daß wir jede Begegnung vermieden. Als wir dann das Rendezvous erreichten, wartete Thar schon auf uns.
    „Sie sind arm, sehr arm“, sagte er. „Darum bin ich zum Hospiz geritten, um für sie zu sorgen, doch ohne daß sie es erfahren.“
    „Wissen sie deinen Namen?“ fragte ich.
    „Ja.“
    „Und wie dein Vater heißt?“
    „Nein. Du weißt doch, daß der Prophet sagt: Wer der Armut gibt, der gebe alles, nur nicht seines Vaters Namen. Ich finde sie auch ohnedies in Jerusalem wieder; darauf kannst du dich verlassen.“
    Bald darauf stellte Mustafa Bustani sich mit dem Wagen ein. Er freute sich sehr, als er hörte, daß uns und seinem Sohn von Seiten der Bevölkerung nichts geschehen sei, und teilte uns mit, daß es verschiedene Zusammenstöße zwischen Muselmännern und Juden gegeben habe. Er selbst war so ärgerlich über die Ungastlichkeit seines Geschäftsfreundes gewesen, daß er ausgeschlagen hatte, mit ihm zu essen. Nun hatte er Hunger. Darum suchten wir, sobald wir eingestiegen waren und der Wagen sich wieder in Bewegung setzte, alles Eßbare zusammen, was wir früh mitgenommen hatten, und hielten ein sogenanntes Abendessen ‚auf vier rollenden Rädern‘.
    Während der Heimfahrt ereignete sich nichts, was wichtig genug wäre, erzählt zu werden. Höchstens könnte ich sagen, daß wir, als wir das Wadi el' Arrub erreichten, wieder halten ließen, um in dem dort liegenden Café einzukehren. Der Wirt kam heraus und fragte nach unseren Wünschen, aber in sehr gemessener Weise.
    „Fünf Tassen!“ befahl Mustafa Bustani. Sie wurden gebracht und getrunken. Dann zog ich den Beutel.
    „Wieviel kosten die fünf?“ fragte ich.
    „Grad einen halben Franken“, antwortete er.
    „Und die fünfzehn am Vormittage?“
    „Anderthalb Franken.“
    „Die zwanzig also zusammen?“
    „Zwei Franken.“
    Ich gab ihm nur die zwei Franken, keinen einzigen Para mehr.
    „Hier! Fertig!“
    Da griff er rasch zu, steckte das Geld ebenso schnell in die Tasche und machte eine tiefe und, wie ich glaube, diesmal wirklich aufrichtige Verbeugung und sagte: „Ich danke dir, Effendi! Du bist gerecht und klug. Eure Heimfahrt sei gesegnet!“
    Und sie war auch gesegnet. Mustafa zürnte dem Fanatismus seiner Glaubensgenossen und hatte nichts dagegen, daß sein Sohn fast während der ganzen Fahrt von der kleinen Christin schwärmte. Als Bethlehem vor uns auftauchte, holte er tief Atem und sagte: „Es ist viel Liebe und viel Güte von diesem kleinen Städtchen ausgegangen, mehr als von all unseren großen, hochberühmten Wallfahrtsorten. Heute wurde ich einmal recht schonungslos und aufrichtig an meinem eigenen Zelotismus erinnert. Was hast du den Hebroniten getan? Nichts. Und doch verstoßen sie dich! Welch eine Lieblosigkeit und Ungerechtigkeit! Und was hatte mein Bruder mir getan? Nichts. Und doch verstieß ich ihn, ihn, meinen leiblichen Bruder! Ich war also noch viel liebloser und noch viel ungerechter als die Kananiter von El Chalîl!

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