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41 - Unter heisser Sonne

41 - Unter heisser Sonne

Titel: 41 - Unter heisser Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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doch einen ‚wahren Gentleman‘ gefunden zu haben, wie ihr Ausdruck in der Morgenpost lautet. Die Fenster sind erleuchtet, und hinter den Gardinen bewegte sich ein männlicher Schatten.“
    Der, von welchem dieser Schatten herrührte, hatte in der Bibliothek manches Buch gefunden, welches nicht ohne Wert für ihn war, und dachte erst zu ungewöhnlich später Stunde daran, die Ruhe aufzusuchen. Als er das dunkle Wohnzimmer betrat, bemerkte er, daß drüben im gegenüberliegenden Haus die Lichter des zweiten Stocks erloschen waren. Jetzt waren einige Fenster des ersten Stocks erleuchtet; die Vorhänge waren zurückgezogen; die Altantüre stand offen, und durch diese glänzte die große, lichtverbreitende Kuppel einer Lampe, welche auf dem Sofatisch stand. Eine weibliche Gestalt in weißem, luftigem Gewand glitt wie schwebend durch das Gemach. Sie trat an den Tisch; das blendendhelle Licht fiel auf ihre hohe, volle Gestalt, doch da sie von ihm abgewandt stand, so konnte er von ihrem Gesicht nichts sehen. Unbeweglich hielt er seinen Blick auf sie gerichtet, indem er erwartete, daß sie sich mehr seitwärts wenden werde. Jetzt erhob sie ein Buch, schlug es auf und hielt es dem Licht näher, und weißer als ihr Gewand, weißer als das Papier glänzte wie ein selbstleuchtender Gegenstand ihre Hand zu ihm herüber.
    Schnell holte er ein Opernglas herbei, welches er auf dem Schreibtisch gesehen hatte, und eilte, dasselbe vor sein Auge haltend, hinauf auf den Balkon, wo er in der Dunkelheit nicht bemerkt werden konnte. Da stand die Unbekannte nun so klar und deutlich vor ihm, als befinde er sich in ihrer unmittelbaren Nähe. Ihre Hand fesselte wieder seinen Blick. Er hatte schon manche schöne Hand gesehen, vielleicht auch eine von ihnen besungen, wie weit aber blieb all seine Poesie gegen diese Wirklichkeit zurück! Wie graziös berührten sich ihre langgestreckten, spitz zulaufenden Finger an dem Papier; wie leicht und schön gebogen hob sich das Handgelenk, und wie reizend schaute der Arm aus der durchsichtigen Spitzenhülle hervor! Es war ihm, als brauche er sich nur vorzubeugen, um seine Lippen auf diese Lilienhand zu drücken, so nahe, so deutlich sah er sie vor sich. Und immer noch wollte die Eigentümerin derselben sich nicht wenden, immer noch konnte er Ihr nicht in das Angesicht schauen! Ob die Schönheit ihrer Züge wohl mit der ihrer Hand im Einklang stand? Ihr Kopf war klein und edel geformt, und zwischen den reichen braunen Locken, die über die Schultern herniederfielen, schaute ein zierlicheres Ohr hervor, als er in seinem Leben jemals gesehen hatte.
    Es durchflutete ihn ein vollständig fremdes Gefühl. Es war ihm, als harre er auf eine Seligkeit, die ihm von Minute zu Minute vorenthalten werde; seine Ungeduld steigerte sich immer mehr und – – da, da drehte sie sich halb um, und er erblickte dasselbe wunderbare schöne Angesicht, welches heute einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte.
    „Sie ist's; ich hab' es geahnt!“
    Heiße Wogen drängten sich nach seinem Herzen; war es von dem zu scharfen Sehen durch das Glas? Ein Taumel, ein der Trunkenheit ähnlicher Zustand wollte ihn erfassen. Er kannte die Macht weiblicher Schönheit, aber er hatte sie noch nicht an sich selbst erfahren; jetzt zitterte ihr Einfluß ihm durch das tiefste Leben, und er hätte um keinen Preis der Erde die Fülle von Ahnungen und unbewußten Wünschen, welche seine Brust schwellten, hingegeben.
    Da nahm sie die Lampe und trat in das Nebengemach. Die weißen Gardinen, welche die dortigen Fenster verhüllten, ließen nur noch ihren Schatten sehen, welcher auch bald verschwand, als sie das Licht verlöschte.
    Noch lange stand er, ob gedankenvoll oder gedankenlos, er selbst hätte es nicht sagen können. Nicht ihre Schönheit allein hatte ihn begeistert; das Vornehme und Edle ihres Äußeren und die Reinheit, welche sie umwebte und umschwebte, wie das Licht die Sonne, hatte ihn gefangen genommen.
    „Schlaf wohl, du herrliches, du unvergleichliches Wesen!“ flüsterte er aus überschwellendem Herzen und trat wieder in die Bibliothek zurück. Es trieb ihn hin zum Schreibtisch, es lenkte seine Hand zur Feder, und bald flossen die glühenden Stanzen auf das Papier, so glockentönig und farbenprächtig, wie sie nur die erste, alles Irdische überlodernde Liebe zu diktieren vermag. Er nahm das Blatt und las es wiederholt.
    „Meine beste Arbeit, vielleicht die einzige gute und untadelhafte von allen. Nicht ich habe sie

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